Bibliografie

Detailansicht

Die Moral der Nationalsozialisten

ISBN/EAN: 9783957682048
Umbreit-Nr.: 6816204

Sprache: Deutsch
Umfang: 550 S.
Format in cm: 4.7 x 24.6 x 18.5
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 15.03.2019
Auflage: 1/2019
€ 38,00
(inklusive MwSt.)
Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen
  • Zusatztext
    • Das Buch ist dem moralischen Denken von ­Nationalsozialisten gewidmet. Im Zentrum steht das Selbstverständnis von NS-Tätern. Führende Nationalsozialisten waren subjektiv fähig, ihr Handeln in Übereinstimmung mit ihren eigenen moralischen Überzeugungen (scheinbar) zu rechtfertigen. Wie aber ist es möglich, Böses mit gutem Gewissen zu tun? Zur Beantwortung dieser Frage werden Mechanismen der Selbstrechtfertigung analysiert. Täter, die mit ihrem verbrecherischen Tun innerlich übereinstimmten, haben sich auf rational inakzeptable und moralisch illegitime Rechtfertigungen gestützt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die nationalsozialistischen Selbstrechtfertigungen nur zum Teil auf eine »andere Moral« der Nationalsozialisten zurückzuführen sind. Als wichtiger stellt sich der Umstand heraus, dass die ideologisch überzeugten Nationalsozialisten von anderen außermoralischen (nicht-moralischen) Annahmen ausgingen und andere außermoralische Überzeugungen hatten. Diese Erkenntnis wirft ein Licht auf die Art ihres moralischen Versagens: Insoweit Nationalsozialisten als »Täter mit gutem Gewissen« handelten, haben sie vor allem kognitive Pflichten verletzt.

  • Kurztext
    • Vorwort Dieses Buch ist dem moralischen Denken von Nationalsozialisten gewidmet. Es versucht, die Struktur dieses Denkens aufzuklären, um letztlich das Handeln von überzeugten Nationalsozialisten zu verstehen. Deren Denken und Handeln zu verstehen ist eine Voraussetzung zur Beantwortung der Frage, wie die nationalsozialistischen Verbrechen als ein Werk von Menschen möglich waren. Ich werde also nicht fragen, warum diese Verbrechen stattfanden oder wer die Befehle dazu gab, sondern wie wir uns erklären können, dass es Menschen subjektiv möglich war, anderen Menschen diese Dinge anzutun. Meine Überlegungen beruhen auf der folgenden These: Viele der nationalsozialistischen Verbrechen wären nicht begangen worden, wenn es auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung und Ideologie nicht möglich gewesen wäre, diese Handlungen zu rechtfertigen. Nur weil diese Möglichkeit bestand, waren die führenden Nationalsozialisten, eine Elite, die mehrere hundert, vielleicht wenige tausend Personen umfasste, subjektiv fähig, diese Handlungen - in Übereinstimmung mit ihren eigenen moralischen Überzeugungen - auszuführen. Dies muss nicht für jede Einzelhandlung, für jedes einzelne Verbrechen und jeden einzelnen Nationalsozialisten gelten. Über die Zweckmäßigkeit und moralische Erlaubtheit jeder einzelnen politischen Maßnahme konnte man unterschiedlicher Meinung sein, auch wenn Meinungsunterschiede vielleicht nur selten ausgetragen wurden. Allgemein gilt jedoch für den Nationalsozialismus ebenso, was wahrscheinlich für alle großen Gesellschaftsprojekte gilt: Dieses 'soziale Experiment' wäre nicht in Szene gesetzt und um seine Realisierung wäre nicht zwölf Jahre hartnäckig gerungen worden, wenn nicht eine ausreichende Menge der Protagonisten von der moralischen Rechtmäßigkeit ihres Projekts und ihrer auf Realisierung drängenden Handlungsweisen in einem hinreichenden Grade überzeugt gewesen wäre. Der Nationalsozialismus galt manchen als ein epochales Sozialprojekt von weltgeschichtlicher, nämlich menschheitsrettender Dimension. Sich in den Dienst der nationalsozialistischen Idee zu stellen, sich für sie aufzuopfern betrachteten viele als eine persönliche Herausforderung, der man vor allem im Namen des deutschen Volkes und der 'nordischen Rasse' zu genügen gedachte. Sollte sich die Annahme bestätigen, dass es unter den Nationalsozialisten, insbesondere unter den führenden Nationalsozialisten, Täter gab, die von der moralischen Rechtmäßigkeit ihres Handelns überzeugt waren, stellt sich die Frage, ob diese 'Täter mit gutem Gewissen' nicht eine 'andere Moral' hatten als diejenigen, die dieselben Handlungen für Verbrechen hielten oder sie für solche halten. Ich erhebe nicht den Anspruch, 'die' Moral der Nationalsozialisten umfassend darzustellen. Dies ist nicht mein Ziel. Vielmehr möchte ich zeigen, wie das moralische Denken von Nationalsozialisten - jenseits einer allgemeinen Pauschalverurteilung, der kein humanistisch eingestellter Mensch widersprechen wird - verstanden werden kann. Ich möchte am Beispiel von Nationalsozialisten begreiflich machen, wie es Menschen möglich ist, Dinge, die andere Menschen für Verbrechen halten, in dem Bewusstsein zu tun, dass es moralisch erlaubt ist, so zu handeln. Das Buch versteht sich als eine Antwort auf diese Frage. In besonderer Weise wird dabei die Bedeutung herausgearbeitet, die außermoralischen Annahmen und Überzeugungen innerhalb des moralischen Denkens zukommt. Der Versuch, eine einzelne Frage Schritt für Schritt zu beantworten, erzwang eine Darstellungsweise, die auf zentrale Anschauungen der Nationalsozialisten mehrfach, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven, Bezug nehmen musste. Zum einen war zu zeigen, wie die weltanschaulichen und ideologischen Überzeugungen der Nationalsozialisten in Argumentationsfiguren und Rechtfertigungsformeln zur Geltung kamen (VII, VIII, IX); zum anderen sollten diese Anschauungen und Vorstellungen, diese Überzeugungsinhalte, in ihren Grundzügen zusammenfa

  • Autorenportrait
    • Prof. Dr. phil. habil. Lothar Fritze, Jahrgang 1954, Philosoph und Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden und außerplanmäßiger Professor an der TU Chemnitz.
  • Leseprobe
    • Vorwort Dieses Buch ist dem moralischen Denken von Nationalsozialisten gewidmet. Es versucht, die Struktur dieses Denkens aufzuklären, um letztlich das Handeln von überzeugten Nationalsozialisten zu verstehen. Deren Denken und Handeln zu verstehen ist eine Voraussetzung zur Beantwortung der Frage, wie die nationalsozialistischen Verbrechen als ein Werk von Menschen möglich waren. Ich werde also nicht fragen, warum diese Verbrechen stattfanden oder wer die Befehle dazu gab, sondern wie wir uns erklären können, dass es Menschen subjektiv möglich war, anderen Menschen diese Dinge anzutun. Meine Überlegungen beruhen auf der folgenden These: Viele der nationalsozialistischen Verbrechen wären nicht begangen worden, wenn es auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung und Ideologie nicht möglich gewesen wäre, diese Handlungen zu rechtfertigen. Nur weil diese Möglichkeit bestand, ­waren die führenden Nationalsozialisten, eine Elite, die mehrere hundert, vielleicht wenige tausend Personen umfasste, subjektiv fähig, diese Handlungen - in Übereinstimmung mit ihren eigenen moralischen Überzeugungen - auszuführen. Dies muss nicht für jede Einzelhandlung, für jedes einzelne Verbrechen und jeden einzelnen Nationalsozialisten gelten. Über die Zweckmäßigkeit und moralische ­Erlaubtheit jeder einzelnen politischen Maßnahme konnte man unterschiedlicher Meinung sein, auch wenn Meinungsunterschiede vielleicht nur selten ausgetragen wurden. Allgemein gilt ­jedoch für den Nationalsozialismus ebenso, was wahrscheinlich für alle großen Gesellschaftsprojekte gilt: Dieses »soziale Experiment« wäre nicht in Szene ­gesetzt und um seine Realisierung wäre nicht zwölf Jahre hartnäckig ­gerungen worden, wenn nicht eine ausreichende Menge der Protagonisten von der moralischen Recht­mäßigkeit ihres Projekts und ihrer auf Realisierung drängenden Handlungsweisen in einem hinreichenden Grade überzeugt gewesen wäre. Der National­sozialismus galt manchen als ein epochales Sozialprojekt von weltgeschichtlicher, nämlich menschheitsrettender Dimension. Sich in den Dienst der nationalsozialistischen Idee zu stellen, sich für sie aufzuopfern betrachteten viele als eine persönliche Herausforderung, der man vor allem im Namen des deutschen Volkes und der »nordischen Rasse« zu genügen gedachte. Sollte sich die Annahme bestätigen, dass es unter den Nationalsozialisten, insbesondere unter den führenden Nationalsozialisten, Täter gab, die von der moralischen Rechtmäßigkeit ihres Handelns überzeugt waren, stellt sich die Frage, ob diese »Täter mit gutem Gewissen« nicht eine »andere Moral« hatten als diejenigen, die dieselben Handlungen für Verbrechen hielten oder sie für solche halten. Ich erhebe nicht den Anspruch, »die« Moral der Nationalsozialisten umfassend darzustellen. Dies ist nicht mein Ziel. Vielmehr möchte ich zeigen, wie das moralische Denken von Nationalsozialisten - jenseits einer allgemeinen Pauschalverurteilung, der kein humanistisch eingestellter Mensch widersprechen wird - verstanden werden kann. Ich möchte am Beispiel von Nationalsozialisten begreiflich machen, wie es Menschen möglich ist, Dinge, die andere Menschen für Verbrechen halten, in dem Bewusstsein zu tun, dass es moralisch erlaubt ist, so zu handeln. Das Buch versteht sich als eine Antwort auf diese Frage. In besonderer Weise wird dabei die Bedeutung herausgearbeitet, die außermoralischen Annahmen und Überzeugungen innerhalb des moralischen Denkens zukommt. Der Versuch, eine einzelne Frage Schritt für Schritt zu beantworten, erzwang eine Darstellungsweise, die auf zentrale Anschauungen der Nationalsozialisten mehrfach, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven, Bezug nehmen musste. Zum einen war zu zeigen, wie die weltanschaulichen und ideologischen Überzeugungen der Nationalsozialisten in Argumentationsfiguren und Rechtfertigungsformeln zur Geltung kamen (VII, VIII, IX); zum anderen sollten diese Anschauungen und Vorstellungen, diese Überzeugungsinhalte, in ihren Grundzügen zusammenfassend dargestellt werden (X). Dabei wiederum waren zunächst die deskriptiven Inhalte des moralisch relevanten Denkens von Nationalsozialisten zu erfassen (X.3), um danach zeigen zu können, auf welche Weise diese Inhalte normative ­Relevanz ­erlangten (X.4). Aus diesem Grunde ließen sich gewisse, mitunter aber auch nur scheinbare, Redundanzen nicht vermeiden. Der Text enthält eine durchgängige Argumentation, sodass auch zentrale ­Begriffe - vor allem der Begriff »Täter mit gutem Gewissen« - nur schrittweise entfaltet werden konnten. Um den Hauptgedanken der Untersuchung zu erfassen, ist es nicht erforderlich, sämtlichen argumentativen Verästelungen zu folgen und sämtliche Beispiele zur Kenntnis zu nehmen, die ihn illustrieren.* Die Fragestellung, wie es möglich ist, Böses mit gutem Gewissen zu tun, stellt sich freilich nicht nur in Bezug auf den Nationalsozialismus, sondern ist von allgemeiner Natur. In den verschiedensten Zusammenhängen des Lebens, in verschiedenen Religionen und in unterschiedlichen politischen Herrschaftssystemen finden wir Menschen, die überzeugt sind, zu Handlungen moralisch berechtigt zu sein, die andere für moralisch verboten, ja für verwerflich halten. Priester, die Kultveranstaltungen mit Menschenopfern zelebrieren, christliche Würdenträger, die in göttlichem Auftrag und in Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen Ketzer und Hexen foltern und verbrennen lassen, absolutistische Herrscher, die in Eroberungskriegen Soldaten verheizen, kommunistische Diktatoren, die vermeintliche Klassenfeinde verfolgen, einkerkern und töten, islamistische Selbstmordattentäter, die gezielt Ungläubige oder Abtrünnige vernichten, demokratische Politiker, die im Zuge von Flächenbombardements Zivilisten bewusst und gewollt töten - sie alle können überzeugt sein, moralisch legitim zu handeln. Solche Überzeugungen ­beruhen auf einem gedanklichen Prozess der Selbstlegitimierung und sind zugleich die Voraussetzung für eine Selbstermächtigung zu einem eingreifenden und opferträchtigen Handeln. Unter dem Gesichtspunkt der Selbstlegitimierung und Selbstermächtigung ­können sehr unterschiedliche Verbrechen erkenntnisfördernd miteinander verglichen werden. Weder ein individuelles Verankertsein in tradierter Common-Sense-­Moral noch die häufig in Anspruch genommene »bürgerliche Anständigkeit« ­gepaart mit Empathie bieten eine Gewähr dafür, illegitime Selbstlegitimierungen als moralisches Unrecht zu erkennen. Der Kern von Selbstlegitimierungen ­besteht darin, eine überzeugende argumentative Rechtfertigung zu finden, wieso unter den gegebenen, besonderen Bedingungen moralisch erlaubt sein soll, was unter Normalbedingungen als verboten gilt. Insofern ist dieses Buch nicht nur dem ­moralischen Denken von Nationalsozialisten gewidmet, sondern es versucht, einen Beitrag zu leisten zur Aufklärung der Struktur des moralischen Denkens generell. Im Mittelpunkt steht daher die Analyse rational inakzeptabler und moralisch illegi­timer Rechtfertigungen. Es liegt in der Natur dieser Aufgabenstellung, dass das Buch weder eine ­Geschichte des Nationalsozialismus noch eine vollständige Darstellung der nationalsozialistischen Weltanschauung bietet. Der Rückgriff auf geschichtliche Ereignisse sowie auf weltanschauliche Grundüberzeugungen erfolgt zum Zwecke der ­Illustration der konkreten nationalsozialistischen ­Rechtfertigungsargumentationen. Im Zusammenhang mit dem Handeln von Nationalsozialisten von »Moral« zu sprechen galt lange Zeit als ein Sakrileg. Noch heute ist es für viele gänzlich inak­zeptabel, Nationalsozialisten moralische Überzeugungen zuzubilligen. Diese Position ist zwar angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen nachvollziehbar, ­beruht jedoch entweder auf einem - eigens diesem Ausschließungszweck dienenden - engen Moralbegriff oder auf unhaltbaren Vorurteilen (III.2). Sie ist das Produkt der ausschließlich auf Delegitimierung und nicht auf Verstehen abzie­lenden aufarbeitungspolitischen Perspektive der »Entnazi...
Lädt …