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Geteilte Träume

Meine Eltern, die Wende und ich
ISBN/EAN: 9783630872360
Umbreit-Nr.: 1343654

Sprache: Deutsch
Umfang: 222 S.
Format in cm: 2 x 20.7 x 13.5
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 27.02.2007
€ 14,95
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Zusatztext
    • Was ist aus unseren Träumen geworden? - Wie die Wiedervereinigung Eltern und Kinder entzweite. Mit einer hinreißenden Fülle an Geschichten, Schicksalen und Anekdoten erzählt Robert Ide von den unterschiedlichen Erfahrungen, die Jugendliche und ihre Eltern nach der Wende gemacht haben, und sucht einen Weg zu eröffnen, aus der gegenseitigen Entfremdung wieder zurück zu einer neuen Gemeinsamkeit zu finden. Robert Ide, heute Journalist beim Berliner "Tagesspiegel", war 14 Jahre alt, als die Mauer fiel. Was sich nach der ersten Euphorie für die Generation seiner Eltern als ein die ganze Existenz und das Selbstbewusstsein erschütternder Umbruch erwies, war für Robert Ide und viele seiner Altersgenossen eine unvergleichliche Chance zum Aufbruch in ein neues Leben. Sie haben einen Traum geteilt, den Traum von Freiheit und einem selbstbestimmten, besseren Leben: die Bürger der DDR, ob jung oder alt. Doch als dieser Traum mit der Wende wahr zu werden schien, teilten sich die gemeinsamen Erfahrungen. Während viele junge Menschen seitdem ihren Weg gemacht haben, resignierten die Eltern, enttäuscht von den neuen Realitäten, allzu häufig. Robert Ide fragt, wie es kommen konnte, dass der Umbruch die Familien derart entzweite. Was passiert, wenn am Kaffeetisch Hartz IV auf eine kokette Form der Geldverschwendung trifft? Warum fragt niemand: Tante, warst du bei der Stasi? Am Beispiel seiner eigenen Geschichte wie der seiner Freunde und der Menschen, die er auf Reisen durch die Bundesrepublik getroffen hat, erzählt er vom Leben vor der Wende und davon, was nach der Wiedervereinigung aus den Hoffnungen wurde. Ide entwirft ein buntes Bild vom Damals, von Alfons Zitterbacke bis zum Kleingarten an der Mauer, vom Schallplattenkauf im Intershop bis zur Demütigung durch "Zonen-Gabys erste Banane". Und er hört auf die Erzählungen der Menschen heute, auf ihre Enttäuschungen und kleinen Siege quer durch die Generationen. Ide beschreibt Städte, in denen Schulhöfe verwaisen. Er erzählt, wie Sehnsucht nach dem Früher als Markenartikel verkauft wird. Und an Ossi- Stammtischen im Westen trifft er auf junge Gesamtdeutsche, die Fernweh nach der Heimat verspüren. So ist sein Buch auch ein Porträt der Gegenwart, das die Träume ergründet, die Jung und Alt noch heute gemeinsam teilen und das zeigt, welche Wege die Vergangenheit gefunden hat, sich in den Biografien der Menschen festzusetzen.

  • Kurztext
    • "Seine Ergebnisse regen zu einem neuen Verständnis der Annäherungsprobleme zwischen Ost und West an und geben Hoffnung für die Zukunft." dpa "Eine Mischung aus Reportage, autobiografischem Roman und Essay ist das Ergebnis. "Geteilte Träume. Meine Eltern, die Wende und ich" ist das ostdeutsche Pendant zur "Generation Golf" von Florian Illies. Wertvolle Einblicke für jeden, egal ob Ost- oder Westdeutsch." Hamburger Morgenpost "Ides Buch macht Eindruck, weil der Autor nie einfach behauptet, sondern neugierig nachfragt." Neue Deutschland

  • Leseprobe
    • Der Türsteher schenkt mir einen verächtlichen Blick und schüttelt den Kopf. Ich vergrabe die Hände in meinen Manteltaschen, hier am zugigen Alexanderplatz habe ich keine Lust auf Diskussionen. Gerade will ich mit meinem Kumpel Ricardo zu einer anderen Filiale des Berliner Nachtlebens weiterziehen, da hält mich der Türsteher an der Schulter fest: »Na gut, komm rein. Ich glaube, Du warst schon mal hier.« Ich zahle den Eintritt, mein Blick streift über den Marmorfußboden und die weißen Kalkwände, an denen viereckige Staubränder von abgehängten Bilderrahmen künden, hinüber zum Fahrstuhl, in dem schon Ricardo steht und mich heranwinkt. Ich springe in die silbern verchromte und am Kopf verspiegelte Zelle, es ist ziemlich eng hier, eine Parfümwolke umschließt mich, als sich die Tür ruckelnd zuzieht. Es ist »Weekend«, und der gleichnamige Klub ist nicht nur heute Nacht einer der angesagtesten in Berlin. Früher, als das alles noch undenkbar war, hieß das »Weekend« ganz einfach Haus des Reisens. In einer der Etagen, an denen ich gerade vorbeifahre, saß meine Mutter und hat Träume verkauft. Der Aufzug ist vollgestopft mit kichernden Frauen, der Türsteher hat ganze Arbeit geleistet. »Lesbisch? Das war doch vor zehn Jahren in!«, ruft eine, schon ein wenig betrunken, und erntet helles Kreischen. Mein Kumpel Ricardo lacht mit und zwinkert mir zu. Der Laden ist eine gute Wahl, will er mir wohl sagen. Wahrscheinlich ist er froh, dass er mal Ausgang von seiner Freundin bekommen hat, die zu Hause in Frankfurt am Main geblieben ist. Als die viereckigen roten Zahlen die Ankunft über den Dächern der Stadt anzeigen, dröhnt uns schon Musik entgegen. In einem riesigen Raum mit von der Decke blätterndem Putz und einer geschwungenen Bar haut eine Gitarrenband in die Saiten, ein Sänger mit Dreiwochenbart brüllt »Paris loves Berlin!« und stimmt ein Lied von der Liebe an. Viele tanzen, manche trinken Bier aus Amsterdam und schauen durch die Panoramafenster hinab auf die Lichter der Stadt. Alle, die hier rumhängen, sehen ungefähr so aus wie ich: gefühlte 30, offenes Hemd, Turnschuhe, neugierige Augen. »Ich geh mal tanzen«, sagt Ricardo und bewegt sich in Richtung des Pariser Sängers, sein eigentliches Ziel dürfte indes die Frau aus dem Fahrstuhl sein. Ich schaue ihm nach, wie er im Takt der johlenden Menge verschwindet. Ich sehe den Leuten zu, zu denen ich Wochenende für Wochenende gehöre. Und ich denke an die Worte des Türstehers: Du warst schon mal hier. Ich schaue auf mein Handy, der neue Tag ist schon ein paar Stunden alt. Ich hätte jetzt auch Lust zu tanzen, doch in mir steigen Erinnerungen auf und ein Gedanke, den ich am liebsten vertreiben möchte: Wenn das meine Mutter wüsste. Hier im Haus des Reisens saß sie mit blau-weiß gestreifter Bluse, roter Weste und grauem Seidentuch vor würfelförmigen Computerbildschirmen und bot Fernreisen ans Schwarze Meer und den Balaton an. An der Wand zeigte ein bronzenes Relief ein Flugzeug mit DDR-Emblem, das über alle Ozeane flog. Einmal pro Jahr durfte auch ich durch die Sicherheitsschleuse, dann ging es in dem silbernen Fahrstuhl hinauf in die Schalterhalle von Interflug. Bei der Betriebsfeier schenkte mir der Weihnachtsmann ein Iljuschin-Flugzeug aus Plaste, das ich mir ins Kinderzimmer übers Bett hängte. Genug damit! Ich will die alten Bilder jetzt nicht. Wo ist eigentlich Ricardo? Mühsam bahne ich mir einen Weg in Richtung Bühne und hämmere mir im Takt der Musik in den Kopf: Du bist erwachsen geworden, ein partytauglicher tüchtiger Gesamtdeutscher, das wolltest Du doch immer. Ja, so ist es, bestätige ich mir. Aber in meinem Körper pocht ein anderes Gefühl, und es lässt sich nicht betäuben mit Bier aus Amsterdam und Rock 'n' Roll aus Paris: das Gefühl, in einer ganz anderen Welt angekommen zu sein als meine Eltern. »Zigarette?« Eine Frau - war die vorhin auch im Fahrstuhl? - hält mir eine fast leere Schachtel vor die Nase. Die steht wohl auf nachdenkliche Typen, veralbere ich mich. Ich lass mir Feuer
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