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Vermeintliche Gründe

Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus, Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts 33
ISBN/EAN: 9783593510316
Umbreit-Nr.: 5888329

Sprache: Deutsch
Umfang: 488 S.
Format in cm: 3.7 x 21.9 x 14.7
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 22.07.2020
Auflage: 1/2020
€ 39,95
(inklusive MwSt.)
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  • Kurztext
    • Welche Vorstellungen von Moral und Ethik gab es im Nationalsozialismus? Dieser kommentierte Quellenband stellt erstmals eine biografisch kontextualisierte Auswahl von Texten akademischer Moralphilosophen vor, die sich im "Dritten Reich" besonders hervorgetan haben. Die Auseinandersetzung mit ihren Ideologemen hilft, die Verbindung von normativem Selbstverständnis und den Verbrechen des Nationalsozialismus besser zu verstehen. Zudem ermöglicht das Buch eine differenzierte Betrachtung der Entwicklung der Moralphilosophie nach 1945.

  • Autorenportrait
    • Werner Konitzer ist als wissenschaftlicher Berater am Deutschen Historischen Museum in Berlin tätig und unterrichtet an der Universität Frankfurt (Oder).
  • Leseprobe
    • Einleitung 1. Das Projekt Zur Frage, wie die Verbrechen des Nationalsozialismus möglich gewesen sind, wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel geforscht. Lange Zeit galt das Forschungsinteresse, soweit es sich auf die Seite der Täter konzentrierte, vor allem deren Psychologie. Ihr Handeln wurde durch verschiedene Besonderheiten, beispielsweise durch autoritätsunterwürfiges Verhalten oder Gruppendynamiken, erklärt. Erst in den letzten 20 Jahren ist eine darüber hinausgehende Problematik in den Fokus getreten: die Feststellung, dass viele Täterinnen und Täter ihre Taten tatsächlich für 'gut', 'richtig' oder 'notwendig' hielten, dass sie ihre Handlungen also als moralisch begründet ansahen und sie diese auch anderen gegenüber moralisch rechtfertigten. Dieser Umstand lässt sich nicht allein aus 'kumulativen Dynamiken' oder ähnlichen psychologischen Prozessen erklären. Er setzt vielmehr so etwas wie geteilte moralische Gründe voraus - Gründe, deren Gültigkeit sich die Täter gegenseitig immer wieder versicherten und die die normative Selbstverständlichkeit des Täterkollektivs prägten. Intuitiv ist es klar, dass es ausgeschlossen ist, den nationalsozialistischen Massenmord moralisch zu begründen. Aus der historischen Erfahrung der nationalsozialistischen Verbrechen hat Adorno einen neuen 'kategorischen Imperativ' formuliert, den Hitler den Menschen 'im Stande ihrer Unfreiheit [.] aufgezwungen [habe]: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe'. Das Grundprinzip aller Moral nach Auschwitz müsse die Verhinderung ähnlicher Verbrechen sein. Zu erklären, wieso die Verhinderung einer Wiederholung von so etwas wie Auschwitz der wichtigste Imperativ ist, ist nach Adorno angesichts der Grausamkeit und Reichweite des Ereignisses weder nötig noch möglich. Wer ihn dennoch in Frage stelle, das heißt die Möglichkeit in Betracht ziehe, dass man Auschwitz moralisch begründen könne, begeht Adorno zufolge einen 'Frevel'. Denn die Infragestellung würde bedeuten, den millionenfachen Mord zumindest hypothetisch für akzeptabel zu halten. Die Gültigkeit des Imperativs, den Adorno formuliert, ergibt sich nach seiner Auffassung also allein aus der Erfahrung des Geschehenen. Bei den Texten, die wir hier dokumentieren, handelt es sich um nationalsozialistisch orientierte Schriften aus dem Bereich der Ethik. Ihre Autoren waren - sicherlich in unterschiedlicher Weise - auch von der Intention geleitet, so etwas wie nationalsozialistische Moral zu formulieren. Fast alle Texte wurden vor Auschwitz geschrieben. Sie sind jedoch Ausdruck jenes normativen Klimas in der damaligen deutschen Bevölkerung, das die Verbrechen von Auschwitz möglich machte. Die wechselseitige Versicherung innerhalb der deutschen Bevölkerung, das Richtige zu tun, und die damit wohl auch verbundenen moralischen Hochgefühle waren stärker als alle moralischen Bedenken und Skrupel. Die für diesen Band ausgewählten Schriften sind auch Versuche der Rechtfertigung eines solchen Klimas. Weil sie vor Auschwitz entstanden sind, sollten sie jedoch nicht als unmittelbare Rechtfertigung der Verbrechen missdeutet werden. Ihre Autoren legen jedoch Moral und Ethik in einer Weise aus, dass sich aus den resultierenden ethischen Überzeugungen kein grundlegender Einspruch gegen die nationalsozialistischen Verbrechen ergibt. Eine Auseinandersetzung mit Ethiken aus dem Nationalsozialismus ist ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis der Funktionsweise und Struktur nationalsozialistischer Normativität. Ethiken sind Schriften, in denen es darum geht, allgemeine Gründe für Handlungen und Einstellungen herauszuarbeiten und darzustellen. Man kann zwischen tatsächlichen und vermeintlichen Gründen unterscheiden. Wenn mein Nachbar mir nach dem Leben trachtet und etwas unternimmt, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, ist das ein Grund, mich vor ihm zu schützen. Wenn ich nur glaube, dass er das tut, etwa weil ich paranoid bin oder weil ich ihn nicht mag und
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