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Der Anspruch der Dinge

Upcycling als Kunst
ISBN/EAN: 9783940909084
Umbreit-Nr.: 2816265

Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S., 40 Illustr., 40 Abbildungen auf 32 Farbsei
Format in cm:
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 27.09.2021
€ 19,90
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Zusatztext
    • Benötigen wir demnächst ein "Parlament der Dinge"? Haben die Menschen gemachten Dinge, deren physische Masse die der natürlichen Biomasse schon bei weitem übersteigt, einen Anspruch mitzureden? "Der Anspruch der Dinge" nimmt uns mit auf eine inspirierende Reise durch Theorie und Praxis, in Ateliers, zu Kultur-Geschichten, Fetisch, Memes und Musen. Julia Theek wirft als Pionierin des Upcycling und als Künstlerin Licht und Schatten auf die unterschiedlichsten Dimensionen des Dings an sich und regt damit nicht nur zum Nachdenken sondern auch zum Umdenken an.

  • Kurztext
    • Vorwort von Christiane Goetz-Weimer Nachhaltigkeit ist der Mega-Trend unserer Zeit. Crossover sein kleiner Bruder. Dieses Buch verschmilzt in einer interdisziplinären Synthese Kulturgeschichte mit Philosophie, lenkt den Blick auf den Anspruch der Dinge, auf ihr Vergehen und Werden - weist schließlich die Künstlerperspektive hin zum Upcycling. Julia Theek war längst arrivierte Künstlerin, als sie - seit 2014 auch in ihrer Sommerakademie - in Deutschland zu einer der Vorreiterinnen jener Künstlerbewegung wurde, die klassische Kunsttechniken mit gebrauchten Materialien zu einem neuen Ganzen kreieren. Selbst schon seit frühester Kindheit, angeleitet vom Künstlergroßvater Paul August mit Rötel, Aquarellfarben und Tuschen gearbeitet, hat sie die Diskussionen des Dozenten mit seinen Studenten über die Abrissarbeiten zur Umgestaltung Potsdams zur "sozialistischen Stadt" miterlebt - und entschied sich, Kunsttheorie, Ästhetik, Kunstwissenschaft zu studieren, um besser argumentieren zu können. Mehr an gesellschaftlichen Themen als am Kunstmarkt interessiert, gibt sie Seminare für interessierte Laien, Künstlerkollegen und Studenten. Die Kunsttechnik für ihre Themen ist aus der Streetart abgleitet, gesprüht wird vorzugsweise auf Möbelteilen. Vor Ideen sprüht Julia Theek nicht zuletzt immer dann, wenn sie kuratiert: so den Upcyclingkunstpreis, der eine bemerkenswerte Plattform für die "Szene" geschaffen hat. Das ironische Zitat, das verfremdete Augenzwinkern, die Verblüffung einer neuen dekonstruierten Re-Konstruktion prägt die Upcycling-Kunst ebenso wie das Unbehagen am Wegwerfkult. Upcycling-Kunst sensibilisiert daher sinnlich für unsere Verantwortung und geht dabei über das reine Recycling hinaus. Sie formt die Idee der Nachhaltigkeit zu einer qualitativen Dimension, wenn etwa für die Künstler des Zentrums für Zirkuläre Kunst die Lust am Fundstück /Artefakt prägendes Motiv wird. Der kreative und intelligente Umgang mit bereits vorhandenem Material ist vordergründig eine breiter werdende Grundströmung der Gegenwartskunst, weil sie die Wegwerfgesellschaft rückspiegelt und das Ressourcenbewusstsein einer neuen Generation thematisiert. Hintergründig geht es um mehr als einen "Green deal der modernen Kunst". Es geht um die Suche nach Identität. Der Künstler akzeptiert Identität als eine zentrale Bezugsgröße von Ich und Du und Wir Für den Künstler gibt es seit jeher keine Zukunft ohne Herkunft, wie der Philosoph Odo Marquardt treffend erkannte. Der suchende Künstler schätzt seit jeher die Vergangenheit als Quelle seiner Identität. Dort wird der Sucher fündig. Er akzeptiert überhaupt Identität als eine zentrale Bezugsgröße von Ich und Du und Wir. Er weiß um die formative Kraft von Vorgängern für die bewusste und unterbewusste Kultur, die nicht immer neu gefunden oder definiert werden muss, sondern die ihn von vornherein prägt. Er folgt instinktiv dem Diktum Marcel Prousts: "Erst im Gedächtnis formt sich die Wirklichkeit." Allerdings wäre der Künstler kein Künstler, wenn er nicht eine neue Wirklichkeit aus dem Inventar der Alten formte. In den ReadyMades von Marcel Duchamps und den Dadaisten steckt der Keim des heutigen Upcyclings. Duchamps "Bicycle Wheel" gehört zu den Ikonen dieser Kunst ebenso wie Pablo Picassos "Stierkopf", sein am einfachsten nachzuempfindendes Werk, wie die Fassung auf dem Buchdeckel hinten zeigt. Oft ist es das ironische Zitat, das verfremdete Augenzwinkern, die Verblüffung einer neuen dekonstruierten Re-Konstruktion, die Upcycling-Kunst prägt. Zuweilen ist es die schiere Herkunft und Fremdheit des Materials, die das leise Zitat von Identität eröffnet. Upcycling-Kunst spannt den Bogen vom Woher zum Wohin. Der Philosoph Hermann Lübbe hat den modernen Menschen als "Orientierungswaisen" bezeichnet. Das umfassende Lebensgefühl, dass alles, was heute gilt, morgen Makulatur sein kann, befähigt uns zwar, den Modernisierungsprozess zu bewältigen und sich einem totalen Falsifizierungsvorbehalt zu unterwerfen. Im Popper

  • Autorenportrait
    • Julia Theek wurde 1966 in Potsdam geboren und schon im Vorschulalter von ihrem Großvater, dem Maler und Kunstpädagogen Paul August in klassischen Kunsttechniken ausgebildet. 1988 bis 1995 studierte sie Ästhetik, Kunst und Medienwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1988 stellte sie Computergraphiken aus, 1990 Assemblagen und 1992 eine Multimedia-Installation in der berühmten "37 Räume"- Ausstellung in der Berliner Auguststraße. 1993 nahm sie an einem Seminar über Filmproduktion an der "University of Southern California" teil, dann folgten Musikvideos und Kunstdokumentationen. 1995 erhielt sie den Titel "Magistra Artium" für ihre Arbeit über "Semiotische Interpretationsverfahren für Fernsehdesign". In den späten 90ern rückte sie mit den Dokumentarfilmen "The unseen Warhol" und "New York Meat-District" den Fokus ihrer Arbeit wieder auf die Bildende Kunst zurück, 2002 folgte ein Zyklus von Acrylgemälden mit Palästen und Ruinen für "European - Visual Storm II", eine Videoinstallation. Mit Streetart-Graffiti kehrte sie zur Malerei zurück und entwickelte unter der handwerklichen Anleitung von Motorraddesignern ihre eigene Airbrush-Technik. 1999 - 2009 entwickelte sie als Projektleiterin die "Potsdamer Schlössernacht". Davon inspiriert wurde der Zyklus "Preußische Paläste", 2010 - 2017 entstand der Zyklus "Gated communities", seit 2000 arbeitet sie an einer "Menagerie" mit Upcycling-Kunst. 2012 gründete sie mit einem Künstler-Team die Sommerakademie "Lübzer Kunstspeicher", die sich inzwischen auf Upcycling, Kunst und Design mit Nachhaltigkeit spezialisiert hat, und 2021 das "Zentrum für Zirkuläre Kunst". Julia Theek hat in Italien und Spanien ausgestellt, v.a. aber in Berlin und ihrer Heimatstadt Potsdam, ihre Bilder finden sich in namhaften Sammlungen.
  • Leseprobe
    • I.1 Stand der Dinge Von nun an sind wir in der Minderheit. Die Masse der von uns hergestellten Dinge ist größer als die Gesamtmasse aller Lebensformen auf der Erde, die auf rund 1,1 Billionen Tonnen berechnet wurde. Da derzeit doppelt so viele Menschen geboren werden, wie gleichzeitig versterben und sich unsere Produktion alle 20 Jahre verdoppelt, müssen wir wohl etwas ändern. Dabei ist nicht die Verbesserung der Lebensbedingungen in den ärmsten Gegenden gemeint, die zum Überfluss der Dinge nicht beitragen und aus Not Upcycling betreiben. Es gibt globale Bewegungen, die versuchen, die Lawine von Massenproduktion, die mit jeder Saison auf uns zurollt, abzubremsen. Upcycling ist Anspruch, Konzept und kann auch als Technik verstanden werden. Als Begriff klingt es so unbestimmt wie Urlaub, jeder hat dazu andere Bilder im Kopf. Leider sind es oft nur Teelichthalter oder Möbel aus Palletten. Dabei steckt Upcycling zu Unrecht noch in der Bastelecke. Dieses Buch möchte nach kulturellen Wurzeln, praktischen Methoden und einem übergreifenden ästhetischen Ansatz gucken, statt verbieten inspirieren und Dingkonzepte diskutieren. Und mit Kunst kommentieren, damit es zum Vergnügen wird. Zerschlissene Jeans, die aussehen, als hätten sie mindestens eine Weltumsegelung mitgemacht, sind schon eine ganze Weile en vogue. Ganze Heerscharen von Billigarbeitskräften werden damit beschäftigt, neue Stoffe auszubleichen und einzuritzen. Ein langer Gebrauch wird verabredet simuliert, auf dem Laufsteg oder der Straße soll ja keiner denken, dass dies wirklich alte Klamotten wären. Hier wird das angeblich "Echte" verkauft, das, was uns Kunden verführt: bewährte Qualität, gemeinsame Abenteuer, Patina, Authentizität und Tradition. Moden kommen wieder, doch trägt man Mutters Kleid aus den 70ern? Ein Vintage-Fahrrad wird gekauft, obwohl man ein ähnliches vor Jahren verschrottete. Und dieses könnte sogar weniger lange funktionieren, denn nach dem Retrotrend der 70er Jahre will der Hersteller auch das Revival der Achtziger verkaufen. Neben Fastfood gibt es fast fashion und sogar fast furniture, beispielsweise im shabby chic. Massenproduzierte Dinge, die antik aussehen sollen. Sie lassen sich nicht einmal recyceln, wenn sie zerfallen, denn die Plastikschnörkel sind aufgesetzt und die Schubladen aus Faserplatten klemmen und zerbröseln. Warum werden Gebrauchsspuren eher akzeptiert, wenn sie industriell produziert wurden? Ungeachtet der Chemikalien, denen wir uns hautnah aussetzen? Die Nachahmung altert auch nicht gut. Selten haben Großserien- Möbel aus Kompositstoffen eine so gute Qualität, dass sie schön altern. Das Ding wird nicht für mich produziert, sondern um es mir zu verkaufen. Als Ware soll es verführen, zu einer möglichst raschen Affäre, damit wir auch bald wieder frei sind für andere neuere Reize. Reflektierte Strategien - wie sehe ich das in zwei Jahren oder in 20, sollen hier nicht greifen. Was erzählen unsere auserwählten Dinge - trage ich das, was mir als die neueste Mode vorgeben wird? Bewährte eigene Klassiker oder Second Hand? Ist die Rolex fake oder von Großmutter? Sammle ich Bronzen oder Baseballkarten? Turnschuhe oder Taschen? Der Epoche prägende Couturier Jean-Paul Gaultier hat sich mit einer Upcycling-Kollektion vom Laufsteg verabschiedet - mit dem Hinweis, dass es schon genug Kleidung gibt. Die Umsatzsteigerung ständig neuer Waren hat eine Kehrseite. Was wir gewissensschonend in vier Tonnen getrennt entsorgen, kann uns in den Nachrichtenbildern als Treibplastik im Ozean oder als gigantischer Müllberg in Ghana wieder begegnen. Mikroplastik ist in der Luft und im Essen. Ein Geheimtipp vom Gärtner ist, auf Spaziergängen aufgeworfene Erde aus Maulwurfhügeln mitzunehmen, weil dieser tiefe Aushub noch unbelastet sei. Dabei wird hierzulande stark reguliert, eine neue Deponie zu erschließen dauert um die zehn Jahre, in Afrika ist das nicht so kompliziert. Wir verbessern unseren Müll, auch wenn das Duale System noch vorwiegend die Verbrenn
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