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An den Grenzen unserer Lebensform

Texte zur Bioethik und Anthropologie, Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie 16
ISBN/EAN: 9783593395159
Umbreit-Nr.: 1114266

Sprache: Deutsch
Umfang: 199 S.
Format in cm: 1.3 x 21.2 x 14.1
Einband: Paperback

Erschienen am 12.09.2011
Auflage: 1/2011
€ 29,90
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Für die politischen und ethischen Probleme, die der medizinische und technologische Fortschritt aufwirft, gibt es keine Patentrezepte. Andreas Kuhlmann verbindet seine Reflexionen über Fortpflanzungsmedizin und Sterbehilfe mit grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz: Es geht ihm um eine Haltung, die auch den Herausforderungen an den Grenzen des Lebens - Geburt, Tod, Krankheit und Behinderung - sensibel gegenübertritt. Die Konfrontation eingespielter Denkmuster mit den konkreten Erfahrungen körperlicher Begrenzung führt zu einer veränderten Konzeption von Autonomie. Diese setzt weder den gesunden und leistungsfähigen Körper unhinterfragt als Norm, noch leugnet sie in blinder Ablehnung medizinischer Möglichkeiten das Leid der Betroffenen.

  • Autorenportrait
    • InhaltsangabeInhalt Vorwort von Axel Honneth An der Peripherie unserer Lebensform. Zur Erinnerung an Andreas Kuhlmann 7 I. Bioethik Die bioethische Debatte in Deutschland 21 Behinderung und die Anerkennung von Differenz 37 Die Gesundbeter. Warnung vor den Warnern: Die Feinde der Medizin treten an 51 Entscheidungen für den Tod. Behandlungsverzicht und Sterbehilfe57 II. Reproduktive Autonomie Der Embryo als öffentliches Gut. Alte und neue Kontroversen77 Reproduktive Autonomie? Zur Denaturierung der menschlichen Fortpflanzung85 Wunschkinder aus dem Labor? Selektive Fortpflanzung und das Instrumentalisierungsverbot 107 III. Anthropologie Krankheit und Freiheit. Überlegungen zu einer Ethik der Lebensführung 125 Menschen im Begabungstest. Mutmaßungen über Hirnforschung als soziale Praxis 143 Deutscher Geist und liberales Ethos. Die frühe Sozialphilosophie Helmuth Plessners 157 Bemerkungen zur Phänomenologie des Traumes 163 Schmerz als Grenze der Kultur. Zur Verteidigung der Normalität 173 Drucknachweise 181 Literatur 183 Werkverzeichnis Andreas Kuhlmann 193
  • Leseprobe
    • Die epochalen Errungenschaften der Biowissenschaften führen nicht nur zu einer tiefgreifenden Transformation der "äußeren" Natur, sondern ebenso zu einer Neuformierung der physischen Konstitution des Menschen. Unter dem Einfluss der Biomedizin werden Menschen gleich in zweifacher Weise zum Gegenstand technologischer Eingriffe: Als Patienten nämlich sehen sie sich einem immer größeren Angebot an diagnostischen, präventiven und therapeutischen Dienstleistungen gegenüber. Und zugleich sehen sich Menschen in verschiedensten Lebensstadien Begehrlichkeiten ausgesetzt, da sie als Ressource für die Heilung anderer Personen nutzbar gemacht werden können. Infolge dieser doppelten Rolle, die Menschen im Rahmen neuer therapeutischer Möglichkeiten zufällt, stellt sich zum einen die Frage, was für sie getan werden muss oder zumindest getan werden sollte, und zum anderen, wie mit ihnen verfahren werden darf. Die Vielfalt möglicher Hilfeleistungen lässt die Frage unabweisbar werden, wann sie versehrten Personen wirklich zugute kommen. Nicht zu übersehen ist dieses Problem am Lebensende: Ob es immer sinnvoll ist, lebenserhaltende Maßnahmen in extenso zum Einsatz zu bringen, beschäftigt nicht nur die Fantasie vieler Normalbürger, sondern in vielen Ländern längst auch zahlreiche Gerichtsinstanzen. Ein noch wesentlich größerer Einfluss auf die Gestaltung gesamter Lebensverläufe wird in Zukunft von der bloßen Möglichkeit ausgehen, Krankheitsdispositionen lange vor dem Zutagetreten irgendwelcher Symptome zu erkennen. Entscheidungen darüber, wie viel der einzelne Patient wissen will und welche Prävention er aufgrund solcher Prognostik betreibt, wird die Qualität seines Lebens erheblich beeinflussen - und dies ganz unabhängig davon, in welcher Weise Dritte über die gendiagnostisch ermittelten Daten verfügen. Als Objekt der Begierde wird einem Menschen Aufmerksamkeit zuteil, wenn er als potentieller Proband für die Forschung oder als "Lieferant" von Zellmaterial und Organen Bedeutung erlangt. Und dies gilt nicht nur für Personen, die erkrankt sind, im Koma liegen oder als "hirntot" gelten. Nachdem es im Jahre 1999 erstmals gelungen ist, embryonale Stammzellen zu isolieren und zu spezifischen Differenzierungsleistungen zu animieren, hat die seit Anfang der achtziger Jahre heftig umstrittene Möglichkeit, mit frühen Stadien menschlichen Lebens zu experimentieren und diese für die Heilung entwickelter Organismen zu nutzen, ganz neue Brisanz erlangt. Durch "therapeutisches Klonen" und die darauf folgende Verwendung der Stammzellen kommt es zu einer Engführung von Reproduktions- und "Reparatur"-Medizin: Neue Organismen werden nur noch hergestellt, um "alten" Organismen das Überleben zu sichern. Bei einem bestimmten Typus von Patienten können sich die beiden möglichen Rollenzuschreibungen auch überschneiden. In Hinblick auf Personen, die sich bereits seit Jahren im Wachkoma befinden und die deshalb mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem irreversiblen Bewusstseinsverlust betroffen sind, wurde in der Öffentlichkeit wie vor Gericht heftig und langwierig darüber gestritten, ob sie bis hin zu einem "natürlichen" Ende künstlich ernährt werden müssen oder ob durch Entzug der Nahrung das Sterben beschleunigt werden darf. Die gleichen, als "Teilhirntote" qualifizierte "Apalliker" gelten aber zugleich als Kandidaten für die Organentnahme (vgl. Veatch 1993; Hoffenberg et al. 1997). Für ein und dieselbe Personengruppe wird also einerseits postuliert, dass man die künstliche, häufig mit wiederholten kleineren Operationen verbundene Nahrungszufuhr in jedem Falle aufrechterhalten müsse; andererseits wird von anderen Autoren erwogen, ebendiese Patienten "aufzuschneiden" und ihre Organe zu explantieren. Man muss nur einen flüchtigen Blick auf die neuen medizinischen Möglichkeiten werfen, um gewahr zu werden, dass bisher nicht gekannte Entscheidungszwänge unsere Vorstellungen davon, wie mit hilflosen Menschen umzugehen ist, einem Härtetest aussetzen. Und all
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