Bibliografie

Detailansicht

Der Süden

Neue Perspektiven auf eine europäische Geschichtsregion
ISBN/EAN: 9783593384528
Umbreit-Nr.: 1889334

Sprache: Deutsch
Umfang: 233 S.
Format in cm: 1.7 x 21.3 x 14
Einband: Paperback

Erschienen am 08.10.2007
Auflage: 1/2007
€ 29,00
(inklusive MwSt.)
Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen
  • Zusatztext
    • Der Süden ist eine feste Größe auf den kognitiven Landkarten Europas. Doch während die Vorstellungen vom 'Norden', 'Westen' und 'Osten' in den letzten Jahrzehnten ausführlich erforscht wurden, ist Europas Süden weitgehend unbeachtet geblieben. In diesem Band setzen sich West- und Osteuropahistoriker erstmals systematisch mit den changierenden Bildern auseinander, die mit dem 'Süden' verknüpft wurden und werden.

  • Autorenportrait
    • Frithjof Benjamin Schenk, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der Universität München. Martina Winkler, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der HU Berlin.
  • Schlagzeile
    • Der Süden als Geschichtsregion
  • Leseprobe
    • Gustav von Aschenbach, urpreußischer Held in Thomas Manns Der Tod in Venedig, ist kein großer Reisender. Es sind allein die "regnerischen Sommer", die ihn dazu bringen, sich in den Zug zu setzen, der ihn über die Alpen führt. "Nicht gar weit, nicht gerade bis zu den Tigern. Eine Nacht im Schlafwagen und eine Siesta von drei, vier Wochen an irgend einem Allerweltsferienplatze im liebenswürdigen Süden"TP PT Von neutraler Eindeutigkeit ist dieser "Süden" in von Aschenbachs Vorstellung: lieblich, zart, bequem und nicht allzu exotisch, ein Teil des bekannten Kontinents und damit ein mögliches Ziel für den Helden, der "niemals auch nur versucht gewesen [war], Europa zu verlassen". Das "Studium von Karte und Kursbuch" hilft ihm jedoch auf seiner Fahrt nur sehr bedingt weiter, da die Himmelsrichtungen bald ihre Eindeutigkeit verlieren und er sich in einem osteuropäisch-balkanisch angehauchten, tropisch-schwülen, dekadenten, keinesfalls jedoch liebenswürdig-südlichen Venedig wieder findet. Thomas Mann lässt in seiner Novelle gegensätzliche Vorstellungen und Bilder des Südens aufeinander treffen, die ein für den Handlungsablauf wichtiges Spannungsmoment bilden. Zum einen: das verklärende Bild von mildem Klima, romantischer Folklore und der Schönheit des Meeres, die den Menschen aus dem regenreichen Norden auf die Südseite der Alpen locken. Zum anderen findet sich der Reisende, am Ziel seiner Sehnsucht angekommen, an einem Ort wieder, dessen Lage an den Grenzen Europas faszinierend, gleichzeitig aber auch gefährlich und unheilvoll wirkt. Der Süden mit seiner reichen Geschichte und seinen Traditionen ist eine Regi-on fernab von den Sphären der eigenen Vernunft, die sich in Manns No-velle letztendlich als unheilsschwangerer Hort "nördlicher" Sehnsucht entpuppt. Für Thomas Mann und seinen Helden von Aschenbach schien kein Zweifel daran zu bestehen, dass die Lagunenstadt Venedig im "Süden" liegt. Damit war zum einen eine klar festzulegende Himmelsrichtung be-nannt, die die Reise des Erholungsuchenden aus deutschen Landen bestimmen sollte. Zum anderen wird dem Leser jedoch bald deutlich, dass die Bezeichnung der scheinbar objektiven geographischen Kategorie auch einen ganz bestimmten bildreichen Beiklang hatte. Der Süden, als Land der Sonne und des milden Klimas, der reichen Geschichte und Tradition, der einfachen Lebensformen und der Erholung war schon seit langem eine feste Größe auf den kognitiven Landkarten der Menschen in Mittel- und Nordeuropa. Solche mental maps haben für gewöhnlich keine fest abge-steckten geogra-phischen Grenzen, sind für die Orientierung des Men-schen in der Welt jedoch unerlässlich. Nicht die scharf gezeichneten Linien der Kartographie bestimmen die Gestalt der imaginierten Regionen, son-dern ein Set von charakteristischen Assoziationen, die nicht selten werten-der Natur sind. Der "Süden" existierte und existiert als ein bestimmter und zugleich vage begrenzter Raum in unserer Vorstellung von der Welt, neben anderen Regionen wie dem "Norden", dem "Osten" oder dem "Westen". Regionale Bezeichnungen wie "Westeuropa", "Mitteleuropa" oder "Ost-europa" prägen jedoch nicht nur unsere Alltagssprache und helfen uns, die Fülle an täglich neuen Informationen über die Welt, die uns umgibt, zu strukturieren und zu ordnen. Gleichzeitig sind sie als Kategorien fest im wissenschaftlichen Diskurs etabliert. Auf ihnen fußen politologische und historische Forschungszusammenhänge, aus denen sich die Existenz ent-sprechender Institutionen, universitärer Lehrfächer und Fachzeitschriften begründet. Der Arbeit regional ausgerichteter Sozialwissenschaften liegt letztlich die Vorstellung zugrunde, dass jene Räume, die sich auf unseren mental maps als nur vage begrenzte und normativ beladene Größen präsen-tieren, auch objektiv und wertneutral beschrieben und auf einer Landkarte klar lokalisiert werden können. Dass sich zwischen der Praxis, die "Welt im Kopf" nach bestimmten Kategorien zu ordnen, und dem Versuch, eine wertneutrale Debatte über kulturelle Differenz zu führen, ein erhebliches Spannungspotential ergibt, liegt auf der Hand. Spätestens seit Edward Saids bahnbrechender Studie über den Orientalism wissen wir, dass zentrale Kategorien des westlichen kulturwissenschaftlichen Diskurses und die entsprechenden institutionellen Ausprägungen oftmals Produkte der gedachten Unterteilung der Welt nach normativen und machtpolitischen Gesichtspunkten sind. Der enge Zusammenhang von politischen Diskursen, mental mapping und regionalwissenschaftlicher Forschung wurde zuletzt nach den politischen Umbrüchen in Ostmittel- und Osteuropa 1989/91 deutlich. Die Ereignisse jenseits des Eisernen Vorhangs haben nicht nur die Ordnung auf unseren kognitiven Landkarten gehörig durcheinander gebracht. Gleichzeitig führte die Auflösung des Ostblocks auch dazu, dass bisher gültige Regeln der regionalen Arbeitsteilung in den Sozial- und Geschichtswissenschaften massiv in Fra-ge gestellt wurden. In diesem Zusammenhang wurden zum Beispiel inner-halb der westlichen Osteuropaforschung die Historizität und die normati-ven Konnotationen der für das Fach maßgeblichen Großraumbegriffe wie zum Beispiel "Osteuropa" oder "Südosteuropa"/"Balkan" analysiert und diskutiert.TP PTGleichzeitig setzte eine generelle Debatte über die Notwendig-keit und den Wert entsprechender Konzepte für die vergleichende europäi-sche Geschichtsschreibung und über die Möglichkeit eines nicht-normativen, wissenschaftlichen Diskurses über Geschichtsregionen als Strukturräume ein.
Lädt …