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Normiertes Leben

Biopolitik und die Funktionalisierung ethischer Diskurse
ISBN/EAN: 9783593399522
Umbreit-Nr.: 4949893

Sprache: Deutsch
Umfang: 251 S.
Format in cm: 1.6 x 21.3 x 14.3
Einband: Paperback

Erschienen am 02.10.2013
Auflage: 1/2013
€ 32,90
(inklusive MwSt.)
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  • Kurztext
    • Biopolitik und Bioethik sind zwei zentrale Felder der wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskussion. In diesem Band fragen Geistes- und Kulturwissenschaftler nach der Funktion ethischer Diskurse. Sie zeigen, dass Ethik zu einem Instrument werden kann, biopolitische Entscheidungen zu legitimieren.

  • Autorenportrait
    • Dominik Finkelde, Dr. phil., ist Dozent für Politische Philosophie an der Hochschule für Philosophie München. Julia Inthorn, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen. Michael Reder, Dr. phil., ist Professor für Praktische Philosophie an der Hochschule für Philosophie München.
  • Leseprobe
    • Einleitung Dominik Finkelde, Julia Inthorn, Michael Reder 1. Die Aktualität der Biopolitik Biopolitik ist in zweifacher Weise zu einem Kernthema geistes- und sozialwissenschaftlicher Diskussionen geworden. Zum einen lässt sich ein wachsendes Interesse vonseiten der Politik für Fragen der Gesundheit, Medizin und Biotechnologie beobachten, in deren Anschluss es zu vermehrter wissenschaftlicher Beschäftigung mit Biopolitik als Thema interdisziplinärer Untersuchungen kommt. Zum anderen kann eine zunehmende Beschäftigung mit theoretischen Ansätzen im Anschluss an Michel Foucault festgestellt werden, bei denen Biopolitik als kritische Reflexionsperspektive auf politische und gesellschaftliche Prozesse verstanden wird. Diese doppelte Perspektive auf Biopolitik bildet die Grundlage der hier versammelten Analysen von Geisteswissenschaftlern verschiedener Disziplinen. In unterschiedlichen Themenbereichen werden aktuelle Fragestellungen der Bioethik mit den theoretischen Ansätzen der Biopolitik als Reflexionsperspektive ins Gespräch gebracht. Dabei werden neue Interpretationen mit oftmals daraus sich ableitenden Aporien im Verhältnis von Biopolitik und Bioethik deutlich. Ein zentraler Fokus dabei ist die Frage nach den Funktionen bioethischer Diskurse im Kontext der Biopolitik. Bioethik ist heute generell zu einem Schlagwort geworden, das als solches das Verständnis von dem, was diese Disziplin eigentlich für Problematiken beinhaltet, einebnet. Denn überall wo Ethik draufsteht, scheint Ethik drin zu sein. Dabei unterscheiden sich die Konzepte von Bioethik teils erheblich. Bioethik kann beispielsweise im Sinn einer Reflexionswissenschaft verstanden werden, die Begründungsfragen normativer Aussagen und Bewertungen von Handlungsoptionen analysiert. Gleichzeitig kann sie auch unter einer Akteursperspektive betrachtet werden, man denke hierbei zum Beispiel an die Beteiligung beratender Gremien an politischen Prozessen im Kontext von Medizin und Gesundheit oder den Einsatz von Ethikberatern bei der Entscheidung zwischen Handlungsalternativen im klinischen Alltag. Das vorliegende Buch Normiertes Leben. Biopolitik und die Funktionalisierung ethischer Diskurse geht diesen Ausdifferenzierungen nach und fragt durch die Untersuchung der aktuellen Rolle von Bioethik in politischen Prozessen und konkreten Handlungskontexten nach dem Potenzial und den Grenzen ethischer Reflexion in der Gegenwart. Es möchte dadurch zu einer differenzierten Betrachtungsweise der unter dem Schlagwort Bioethik subsumierten Funktionen im Kontext moderner Biopolitik beitragen. Hierzu wird auch die Nähe von Ethik und Politik und deren institutionelle Verflechtung, die selbst Teil biopolitischer Maßnahmen werden kann, betrachtet. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zu Biopolitik wird so danach gefragt, inwieweit Ethik Teil biopolitischer Entscheidungsprozesse im Kontext einer Normierung des Lebens wird. Die hier vorliegenden interdisziplinären Auseinandersetzungen über die Dimensionen von Bioethik helfen neue Interpretationsperspektiven auf ihre gesellschaftlich-politische Bedeutung vor dem Hintergrund biopolitischer Praktiken zu gewinnen. 2. Aufriss zum aktuellen Kontext der Debatte(n) Biopolitik als praktisches Handlungsfeld betrifft einen wachsenden Bereich an Fragestellungen, der sich durch die gesellschaftlich getragene Verantwortung für die Gesundheitsversorgung des Einzelnen ergibt. Neben den Kernbereichen wie der Gestaltung des Gesundheitssystems werden immer mehr Themen als biopolitisch relevant identifiziert. Als solche werden sie gesellschaftlich und politisch diskutiert, um diese geteilte Verantwortung wahrzunehmen: Abtreibung und Regelungen zur Patientenautonomie sind ebensolche Themen wie die Frage von Anreizsystemen für die individuelle Gesunderhaltung. Auch die Auseinandersetzung über die Höhe von Geburtenraten oder Regelungen von Gen- oder Stammzellforschung sind Teil politischer Entscheidungen, in denen kleine Wissenschaftseliten versuchen, den politischen Entscheidungsträgern beizustehen. Die Bevölkerung erwartet dabei vielleicht eher passiv und stillhaltend einen nicht allzu gesinnungs-, sondern eher verantwortungsethischen Umgang mit diesen Themen. Diese betreffen schließlich die Zukunft der eigenen Kinder. Angesichts dieser vielfältigen, kontroversen Fragen der Biopolitik ist dieses Feld "zum Gegenstand wildester Spekulationen geworden". Die individuelle Verantwortung für die eigene Gesunderhaltung, wie gesunde Ernährung durch Bioprodukte, die Aufforderung zu mehr Bewegung oder die Auseinandersetzung um work-life balance, wird von Ilona Kickbusch mit dem Schlagwort "Gesundheitsgesellschaft" beschrieben. Diese Phänomene sind Symptome dafür, wie diskursive Strukturen entstehen, die biopolitische Fragen sowohl auf der Ebene von Lifestyle und Wellness-Kultur in unserem Alltag als auch auf der politischen Ebene relevant werden lassen. Solche diskursiven Prozesse untersuchte Michel Foucault und brachte die Analyse unter dem Begriff Biopolitik in den 1970er Jahren in die Diskussion ein. Er eröffnete damit eine Reflexionsperspektive auf moderne Gesellschaften und deren Tendenz, immer mehr Kontrolle über den menschlichen Körper auszuüben. Seither hat der Begriff Biopolitik eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war er nur einer kleinen akademischen Elite bekannt, die im Fahrwasser der ersten Generation französischer Strukturalisten die Brisanz des Themas entdeckte. In der Nachfolge von Foucault haben sich dann verschiedene Ansätze entwickelt, die aus einer Metaperspektive Deutungsangebote für diese Prozesse liefern. In der normativ ausgerichteten Ethik hat sich parallel dazu in sogenannten Bereichsethiken eine rege Beschäftigung mit bio- und medizinethischen Fragen etabliert (Krankheit, Sterben, spiritual care, neue medizinische Möglichkeiten). Diese Bereichsethiken sind als Spezialisierungsfelder der Ethik-Forschung auf diverse naturwissenschaftliche Fachbereiche wie Medizin, Medien oder Biologie hin ausgerichtet. Der Diskurs der Bioethik steht dabei in den Theorietraditionen der Ethik sowie in einem direkten Austausch mit den (Natur-)Wissenschaften. Die ethischen Standards basieren oftmals auf den Überlegungen des politischen Liberalismus, die sich um einen begründeten Umgang mit Entstehen, Leben und Tod von Menschen bemühen. Neben ihren akademischen Auseinandersetzungen prägen Bereichsethiken gesellschaftliche Prozesse dadurch, dass Ethiker neben ihrer Forschung in Kommissionen tätig sind oder in öffentlichen Debatten Stellung beziehen und damit zu Akteuren gesellschaftlich-politischer Prozesse werden. In Ethik-Kommissionen werden beispielsweise durch technische be-ziehungsweise medizinische Neuerungen aufgeworfene Fragen kritisch betrachtet und Stellungnahmen zu den entsprechenden, meist kontroversen Fragen abgegeben, die in den politischen Prozess zurückfließen. Die politischen Eliten erwarten dies von ihren akademi-schen Institutionen. Ethik-Kommissionen werden dabei zu Beratungs- und Kontrollorganen in der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse. Eine umfassende Beschreibung von Bioethik muss beide Dimensionen des Verständnisses von Bioethik in den Blick nehmen und sich fragen lassen, in welchem Verhältnis die Akteursperspektive und die Beteiligung am wissenschaftlichen Diskurs als Reflexionswissenschaft stehen. Die Beteiligung von Ethikern kann als Rückbindung von Wissenschaft an gesellschaftliche Prozesse gelesen werden, durch die eine breitere Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglicht wird, und dabei gleichzeitig Bioethik stärker mit den praktischen Alltagsfragen konfrontiert. Wenn Bioethik allerdings ausschließlich in der Rolle gesehen wird, anschlussfähiges Lösungswissen für kontroverse Fragestellungen bereitzustellen, läuft sie - wie mehrere hier versammelte Analysen herausarbeiten - Gefahr, in den biopolitischen Diskussionen der Gegenwart instrumentalisiert und auf eine bestimmte wissenschaftliche wie gesel...
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