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Die Reise nach Tell al-Lahm

Roman
ISBN/EAN: 9783446205383
Umbreit-Nr.: 1051493

Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S.
Format in cm: 3 x 21.8 x 15.2
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 10.09.2004
€ 21,50
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Als Najem von der kuwaitischen Front nach Hause zurückkehrt, empfängt ihn seine Nachbarin mit der Nachricht, seine Frau sei mit ihrem Mann durchgebrannt. Sie verführt ihn zu einer gemeinsamen Reise quer durch den Irak bis in die geisterhafte Stadt Tell al-Lahm. Der irakische Schriftsteller Najem Wali enthüllt auf dem Weg dorthin nach und nach die Lebens- und Liebesgeschichten seiner Figuren und zeigt uns ein von der Diktatur und zwei Kriegen gezeichnetes Land.

  • Autorenportrait
    • Homepage von Najem Wali
  • Leseprobe
    • Prolog Zuerst dachte ich, es wäre die Radiostimme, die mich geweckt hatte, nachdem sie mit voller Lautstärke aus dem Transistorradio an meine Ohren gedrungen war. Ich hatte das Gerät mitgenommen und dort stehenlassen, wo schon lange das Telefon hätte stehen sollen. In dem Moment, als ich aufwachte, hörte ich eine abgehackte Stimme, die klang, als würde Holz gesägt. Sie sprach von einem Ort, der »Tell al-Lahm« hieß, und davon, wie jemand sich erschoß. »Auch eine Art zu sterben«, sagte ich mir, als ich meine Hand ausstreckte, um den Apparat auszuschalten. Ich dachte, ich könnte weiterschlafen, und bemühte mich, die Gedanken zu verscheuchen, die der Name des Ortes in meinem Geist aufgewirbelt hatte. Ich war gerade erst eingeschlafen - die Tage waren lang -, aber da war diese Stimme aus dem Radio, die mich aus einem Meer von Schlaf, in dem ich versunken war, herauszuziehen versuchte. So mußte ich versuchen, mich zu erinnern: Wo hatte ich früher schon von »Tell al-Lahm« gehört? Jemand, ich weiß bis jetzt nicht, wer, hatte mir von dem Ort erzählt (wenn man diesen Flecken einen Ort nennen kann), ohne mir zu sagen, wo er lag. Hatte sich damit begnügt, ihn mir zu beschreiben: seine Eigenheit, das ausgetrocknete Land, den Treibsand, in dem ihr Auto verschwand, als hätten sie es über Ameisen gelenkt. Und da begann ich zu begreifen. Es durchdrang meinen Körper, bis ich aufschreckte. Aber er war immer noch da, der beharrliche Wunsch weiterzuschlafen. Es war nur meine Hand, die sich zum Radio streckte, um es auszuschalten (beim ersten Versuch hatte ich offensichtlich nur den Ton leiser gestellt), und damit den Katarakt der Erinnerung an »Tell al-Lahm« zu verdrängen. Nach einem weiteren Satzfetzen erreichte mich dann ein ganzer Satz: »Er erschoß sich dort.« Was auch immer das bedeutet und ob es einen Zusammenhang zwischen »Tell al-Lahm« und diesen Worten gab oder nicht (denn ich begann an der Existenz dieses Ortes zu zweifeln). Auch was der Sprecher im folgenden nur undeutlich sagte, spielt keine Rolle. Es war, als käme seine Stimme aus einer anderen Welt. Vielleicht war es mein hartnäckiger Widerstand gegen das Aufwachen, der »Tell al-Lahm« aus meinem Bewußtsein vertrieb. Doch wie sich zeigte, war es mir nicht vergönnt, das Unternehmen Schlaf zu Ende zu bringen. Kurz nachdem ich das Radio ausgeschaltet hatte, meinte ich eine Stimme durchs Haus tönen zu hören. Zum letztenmal versuchte ich zu schlafen. Doch unser Körper besitzt seine eigenen Strategien und Tricks - verborgene und sichtbare -, unseren Wünschen zu entkommen. Obwohl »Tell al-Lahm«, die Ameisen, der Treibsand und das verschwommene Bild der Person, die sich erschoß und von der mir jemand erzählt hatte (ich weiß nicht, wer!), im Meer meines Schlafes versanken, fühlte ich, daß sich meine Lider nicht einig waren: eines will erwachen, das andere bittet inständig um Schlaf. Bis jetzt wußte ich nicht, was los war. Ich rieb mir verwirrt die Augen, konnte noch nicht auseinanderhalten, was Wirklichkeit war und was Einbildung, was Alpdruck und was Wunschdenken. Es war ein Spiel, der Versuch zu erkennen, was tatsächlich stattfand und was ich mir einbildete. Für jemanden wie mich, der das Sofa nicht verließ, auf dem er sich entspannte (vielleicht rede ich mir das nur ein, da ich ja sicherlich sehr tief geschlafen hatte), war es schwierig zu unterscheiden. Sonst wäre es nicht zu dem Widerhall dieses Echos gekommen, dem Echo von »Tell al-Lahm«, das sich vermischte mit dem Ameisenstrom, dem Bild des Treibsands und dem Mann, der sich vermutlich umgebracht hat. Wäre ich wach gewesen, hätten sich Vision und Gewißheit, Realität und Phantasie nicht vermengt. Vor drei Tagen bin ich aus dem Krieg zurückgekehrt. Irgendwie hatte er ein Ende gefunden, zumindest für die kriegerischen Parteien. Für uns aber fand er nie ein Ende! Uns kocht sein Erbrochenes entgegen wie Lava aus einem Vulkan. Wir sind der heiße Dreck, der sich im Bauch des Vulkans sammelt. Ich gehöre zu diesem Dreck, mit dem
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