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Die Massen bewegen

Medien und Emotionen in der Moderne
ISBN/EAN: 9783593382005
Umbreit-Nr.: 1922335

Sprache: Deutsch
Umfang: 411 S.
Format in cm: 2.6 x 21 x 14
Einband: Paperback

Erschienen am 09.10.2006
Auflage: 1/2006
€ 46,00
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Wie sehr Medien die »Massen« bewegen können, zeigte zuletzt der Karikaturenstreit. An Beispielen aus Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen wird in diesem Band die Geschichte der Beziehung von Medien und Emotionen in der Moderne untersucht. Die Themen reichen von den Kulturkämpfen des 19. Jahrhunderts über die Radioreportagen zum »Wunder von Bern« bis hin zum Völkermord in Ruanda 1994, bei dem das Radio ebenfalls eine entscheidende Rolle spielte.

  • Kurztext
    • Wie sehr Medien die 'Massen' bewegen können, zeigte zuletzt der Karikaturenstreit. An Beispielen aus Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen wird in diesem Band die Geschichte der Beziehung von Medien und Emotionen in der Moderne untersucht. Die Themen reichen von den Kulturkämpfen des 19. Jahrhunderts über die Radioreportagen zum 'Wunder von Bern' bis hin zum Völkermord in Ruanda 1994, bei dem das Radio ebenfalls eine entscheidende Rolle spielte.

  • Autorenportrait
    • Frank Bösch ist Juniorprofessor für Mediengeschichte an der Universität Bochum. Manuel Borutta, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich-Meinecke- Institut der Freien Universität Berlin.
  • Schlagzeile
    • Kultur und Geschichte
  • Leseprobe
    • Medien und Emotionen in der Moderne Historische Perspektiven Frank Bösch und Manuel Borutta Im Januar 1979 war das westdeutsche Fernsehpublikum tief bewegt. Die amerikanische TV-Serie Holocaust erreichte in diesen Wochen nicht nur rund 20 Millionen Zuschauer, sondern löste auch heftige emotionale Reaktionen aus. So riefen beim WDR, der spezielle Telefonleitungen geschaltet hatte, Zehntausende aufgewühlter Zuschauer an, die Wut, Scham oder Schuldgefühle äußerten. Eine Geschichtsstudentin, die beim Telefondienst die Anrufe aufzeichnete, resümierte: "Viele weinen. Und das Weinen kann man nicht protokollieren." Ähnlich emotional waren zahlreiche Briefe an den Fernsehsender gehalten. Nicht wenige enthielten hasserfüllte antisemitische Angriffe auf die Serie und den Sender, andere berichteten niedergeschlagen und verstört von einstigen Bluttaten, Diktatur- und Kriegserfahrungen. Die Ausstrahlung von Holocaust wurde damit selbst zum historischen Ereignis, an dem sich die komplexe Beziehung zwischen Medien und Emotionen exemplarisch zeigen lässt. Unverkennbar war die Wechselwirkung zwischen Medien und den Gefühlsäußerungen der Zuschauer: Die mediale Darstellung von Emotionen löste nicht nur Gefühle aus. Die Medien berichteten auch ausführlich über emotionale Zuschauerreaktionen und schufen so eine Matrix weiterer Gefühlsäußerungen. Zugleich wandelte sich die Bewertung der Beziehung von Medien und Emotionen. Die unerwartete Reaktion auf die Serie, die vorab vielfach als "amerikanischer Kitsch" abgelehnt worden war, ließ emotionale Inhalte und Formen in Medien nun als akzeptables Mittel zur Auslösung moralisch wertvoller kognitiver Prozesse erscheinen. "Mitleiden macht Geschichte begreifbar", titelte etwa der Stern, und verwies damit auf die positive Bedeutung von Empathie für historische und moralische Lernprozesse. Seither folgten in Deutschland unzählige Film- und Fernsehproduktionen, die die nationalsozialistische Vergangenheit ebenfalls auf melodramatische Weise zu vergegenwärtigen suchten. Auch die vermeintlich "rationale" Geschichtswissenschaft ließ das Ereignis nicht kalt. Die Warnung vor dem "manipulativen Potential" solcher Gefühlsvermittlung ging dabei zugleich mit der Kritik an den Defiziten der bisherigen Geschichtsvermittlung durch Experten einher. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der emotionalen Reaktionen auf die Fernsehserie intensivierte sich Anfang der achtziger Jahre die historiographische Erforschung des Holocaust. Auch der wissenschaftliche Expertendiskurs über Medienwirkungen veränderte sich. Mit ungewohnt aufwendigen Umfragen wurde nun etwa geprüft, ob sich antisemitische Haltungen durch mediale Formen der Emotionalisierung ändern ließen. Die Emotionalisierung historischer Themen galt fortan als Chance zur Heilung von Ressentiments. Das zuvor verbreitete Schweigen über die eigene Vergangenheit wich einer neuen Beredsamkeit. Dass medial ausgelöste Reaktionen auch politische Entscheidungen prägen können, zeigte sich 1979 in der Bundestagsentscheidung, die Verjährung für Mord und Völkermord endgültig aufzuheben, was unter dem Eindruck der Debatte um Holocaust nun eine Mehrheit fand. Die Ursachen dieser intensiven, emotional vielfältigen Reaktionen auf Holocaust liegen sicher nicht allein in der Serie. Auch der neue Umgang mit der Vergangenheit, der sich bereits bei den Gedenkveranstaltungen zum 40. Jahrestag der Reichspogromnacht angekündigt hatte, reicht als Erklärung nicht aus. Die nachhaltige Wirkung dieses medialen Ereignisses dürfte vielmehr auch im Kontext eines generellen emotionshistorischen Wandels stehen. Seit den späten sechziger Jahren hatte sich das Spektrum öffentlich zeigbarer Emotionen verändert. Auch der intensive Ausdruck von Trauer oder Mitleid wurde nun selbst für Männer tolerierbar. Zugleich etablierten sich im Zuge der politischen Polarisierung neue Formen öffentlicher Artikulation von Aggression. Die emotionale Wirkung von Medien ist also nicht allein aus diesen selbst he
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