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Geschichte der Sexualwissenschaft

ISBN/EAN: 9783593385754
Umbreit-Nr.: 1316172

Sprache: Deutsch
Umfang: 720 S., 210 Fotos
Format in cm: 4.7 x 23.2 x 16.5
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 13.05.2008
Auflage: 1/2008
€ 24,90
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  • Zusatztext
    • Vor 150 Jahren begann die wissenschaftliche Erforschung der menschlichen Sexualität. Erstmals erzählt Volkmar Sigusch, einer der angesehensten Sexualforscher der Gegenwart, wie seitdem die intimsten Wünsche, Praktiken, aber auch körperliche und seelische Nöte der Menschen entdeckt wurden.

  • Kurztext
    • Scientific research into human sexuality began 150 years ago. Volkmar Sigusch, one of the most respected sexologists of our times, presents an historical overview of research, not only into our most intimate desires and practices, but our physical and emotional sufferings as well. A witness to contemporary history himself, the author also describes developments in Germany and in the U.S.A. (Alfred C. Kinsey) since the 1950s. His book shows clearly that research into sexual desire has always aimed at liberating the most natural thing in the world from the sinful blemish that moralists would like to attach to it.

  • Autorenportrait
    • Volkmar Sigusch (1940-2023), Arzt und Soziologe, war einer der angesehensten Sexualwissenschaftler der Gegenwart. Als jüngster Medizinprofessor auf den ersten selbstständigen Lehrstuhl für Sexualwissenschaft berufen, entfaltete er - insbesondere als Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft im Klinikum der Universität Frankfurt am Main (1973-2006) - national und international eine außerordentliche Wirkung. Er gilt als Pionier der deutschen Sexualmedizin und als Begründer der Kritischen Sexualwissenschaft, außerdem war er ein erfahrener Sexual- und Paartherapeut. Sein in mehreren Auflagen erschienenes Lehrbuch 'Sexuelle Störungen und ihre Behandlung' gilt als Standardwerk der Sexualmedizin und Psychotherapie. Sigusch gehörte dem Nobelkommittén des Karolinska Institutet in Stockholm zur Vergabe des Medizin-Nobelpreises an, war einer der Gründer der International Academy of Sex Research (IASR), wurde von den führenden Fachblätter The Journal of Sex Research und Archives of Sexual Behavior als Co-Editor für Europa berufen, von der Society for the Scientific Study of Sex, New York, zum Fellow und von der Harry Benjamin Gender Dysphoria Association zum Charter Member ernannt. Nicht zuletzt war Volkmar Sigusch ein brillanter Autor und Essayist. Publikationen der letzten Jahre unter anderem: 'Neosexualitäten' (2005), 'Geschichte der Sexualwissenschaft' (2008), 'Personenlexikon der Sexualforschung' (2009, zusammen mit Günter Grau), 'Die Suche nach der sexuellen Freiheit' (2011), 'Sexualitäten' (2013) und 'Kritische Sexualwissenschaft' (2019).
  • Leseprobe
    • 150 Jahre Sexualwissenschaft Einleitung und Danksagung Immer wieder wird gesagt, die Sexualwissenschaft sei Ende des 19. Jahrhunderts von dem Nervenarzt Richard von Krafft-Ebing oder Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Hautarzt Iwan Bloch begründet worden. Ich bin dagegen zu dem Schluss gekommen, dass die Sexualwissenschaft bereits vor 150 Jahren entstanden ist. Am Beginn, zwischen 1850 und 1870, stellten zwei Gelehrte die Weichen in Richtung auf eine Wissenschaft von der Wonne und von der Liebe, die merkwürdigerweise trotz ihres umfangreichen Werkes bis heute nicht als Pioniere der Sexualwissenschaft gewürdigt worden sind: der katholische Norditaliener Paolo Mantegazza und der protestantische Norddeutsche Karl Heinrich Ulrichs. Diese Pioniere der Pioniere könnten unterschiedlicher nicht sein. Mantegazza, Arzt, Anthropologe und Schriftsteller, liebte die Frauen, vor allem seine Mutter, wie sonst nichts auf der Welt, forschte in fremden Ländern, wurde Universitätsprofessor und starb hoch geehrt als Senator des Königreichs Italien. Ulrichs, Jurist, Latinist und Schriftsteller, liebte die Männer, vor allem junge Soldaten, heiß und innig, war überzeugt, eine weibliche Seele in einem männlichen Körper zu haben, kämpfte mit zahllosen Pamphleten gegen die Verachtung der mannmännlichen Liebe, könnte wegen seines Mutes als der erste Schwule der Weltgeschichte bezeichnet werden und starb nach Verfolgungen mutterseelenallein in den italienischen Abbruzzen. Geburt der Sexualwissenschaft Offenbar stärker als andere Zeitgenossen sind beide bereits durchdrungen vom Furor sexualis, das heißt von dem, was wir heute Sexualdiskurs nennen würden, allerdings noch nicht unter dem alles zusammenzwingenden Sammel- und Leitbegriff "Sexualität". Bekanntlich kommt das Hauptwort "Sexualität" weder in der Bibel noch bei Homer noch bei Shakespeare vor. Das ist für die kritische Sexualwissenschaft nicht nebensächlich, sondern die Sache selbst. Und diese Tatsache ist: Vergesellschaftung von Venus Urania und Venus vulgivaga, von Minne, Wohllust und Wollust, von Geschlecht und Liebe. Die Transformation der zahllosen Wonnen, Empfindungen und Vorstellungen in eine einzige, scheinbar ebenso gott- wie naturgewollte Sexualform kann am leichtesten daran abgelesen werden, dass an die Stelle der zahllosen Wörter, die vor dem 19. Jahrhundert kursierten, ein einziges Wort trat, ein Kollektivsingular, der all die Vorgänger von Venus bis Nisus verschlang: "Sexualität". Mantegazza handelte noch von "Piacere" und "Amore" zwischen Männern und Frauen - wir sagen heute: von Lust und Liebe bei Heterosexuellen. Und die wissenschaftliche Disziplin, die in diesen Jahrzehnten entsteht, hieß bei ihm namenlos "diese Wissenschaft" oder "Wissenschaft vom Genusse". Ulrichs handelte von einer "namenlosen Liebe" und den Geschlechtseigentümlichkeiten jener, die sie lebten - wir sagen heute: von Homosexualität, sexueller Präferenz und Geschlechtsidentität. Mantegazza experimentierte als Mediziner bereits im heutigen Sinn des Wortes. Er argumentierte physiologisch, anthropologisch, ethnologisch, hygienisch, empirisch und damit oft moderner als viele spätere Sexualforscher. Mit seinen zahllosen Büchern in vielen Sprachen und mit einzigartig hohen Auflagen erreichte er das lesende Publikum in Europa und darüber hinaus. Ulrichs argumentierte rechtsphilosophisch, ethisch, sittengeschichtlich, embryologisch, geschlechterwissenschaftlich und politisch und musste zwangsläufig überwiegend im Verborgenen wirken. Er klagte aber Freiheitsrechte für verfolgte und verpönte Geschlechts- und Sexualsubjekte in aller Welt so mutig und unbeirrt auch öffentlich ein, dass er heute als Vorkämpfer der Homosexuellen-Emanzipation verehrt wird. Bei Mantegazza sind die Frauen den Männern noch mit ihrer Liebes- und Lustpotenz überlegen und nicht alle Abweichungen von der Fortpflanzung zur krankhaften Perversion missraten, geht es sogar, anders als bei seinen Nachfolgern, um eine Kunst zu lieben und zu genieß
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