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Tatort Stadt

Mediale Topographien eines Fernsehklassikers, Interdisziplinäre Stadtforschung 6
ISBN/EAN: 9783593391632
Umbreit-Nr.: 1567250

Sprache: Deutsch
Umfang: 329 S.
Format in cm: 2.3 x 21.4 x 14
Einband: Paperback

Erschienen am 09.08.2010
Auflage: 1/2010
€ 41,00
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • Nach fast vierzig Jahren erfolgreicher Sendegeschichte kann der »Tatort« den Anspruch erheben, als populärkulturelles und zeitkritisches Gedächtnis Deutschlands zu wirken. Die Reihe schickt ihre Ermittler in Städte und die Provinz und entwirft so eine mediale Krimi-Landkarte, die regionale Senderlandschaften abbildet. Der Band untersucht, wie Städte in Szene gesetzt, Räume und Orte im Krimi-Format erzählt werden. Mancher Schauplatz wird gerade als »Tatort« zum Brennpunkt; seine Eigenheiten erst im Vergleich mit anderen »Tatorten« zu einem Ort mit eigener Identität verdichtet. Am Sonntagabend werden so deutschlandweit kollektive Vorstellungen von Orten und Räumen geprägt.

  • Kurztext
    • Nach fast vierzig Jahren erfolgreicher Sendegeschichte kann der 'Tatort' den Anspruch erheben, als populärkulturelles und zeitkritisches Gedächtnis Deutschlands zu wirken. Die Reihe schickt ihre Ermittler in Städte und die Provinz und entwirft so eine mediale Krimi-Landkarte, die regionale Senderlandschaften abbildet. Der Band untersucht, wie Städte in Szene gesetzt, Räume und Orte im Krimi-Format erzählt werden. Mancher Schauplatz wird gerade als 'Tatort' zum Brennpunkt; seine Eigenheiten erst im Vergleich mit anderen 'Tatorten' zu einem Ort mit eigener Identität verdichtet. Am Sonntagabend werden so deutschlandweit kollektive Vorstellungen von Orten und Räumen geprägt.

  • Autorenportrait
    • Julika Griem ist Professorin für Englische Literaturwissenschaft an der TU Darmstadt. Sebastian Scholz ist dort Stipendiat im Graduiertenkolleg »Topologie der Technik«.
  • Leseprobe
    • Tatort Deutschland - Auf geographischer Spurensuche zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden Björn Bollhöfer Das Erfolgsrezept der Reihe Tatort beruht neben dem hohen Unterhaltungsaspekt der gezeigten Kriminalfälle vor allem auf der eingeschriebenen Realitätsästhetik. Mit dem selbst definierten Ziel, die Identität unterschiedlicher Landstriche und die regionale Besonderheit des jeweiligen Sendegebiets möglichst authentisch darzustellen, hat die föderalistische Struktur der ARD eine reizvolle Idee hervorgebracht, die landschaftlich wechselnde Schauplätze in ein Reihenkonzept für Regionalkrimis integriert. Im Rahmen dieser "Poetik der Realitätsbezogenheit" (Brück u.a. 2003: 10) erscheint die Thematisierung beziehungsweise Integration konkreter Städte und Regionen als zentrales Phänomen: "Landeskunde als Thriller" (Vogt 2005: 117). Die über 700 Folgen sollen also durchaus als regionale Visitenkarten der unterschiedlichen Sendeanstalten verstanden werden. Sieht man sich aber die Tatort-Städte und ihre sozialen Milieus genauer an, so wird deutlich, dass zwar weitgehend an Originalschauplätzen gearbeitet wird, ihre jeweilige Auflösung in den Drehbüchern und Kamerahandlungen aber allzu oft sehr weit vom spezifisch Alltäglichen und Besonderen wegführt. Die eingeschriebene Realitätsästhetik muss somit auf den Prüfstein gelegt werden, wenn eine Abbildung der Wirklichkeit in Aussicht gestellt wird, die der Konstruktivität des Mediums zu widersprechen scheint. Die Verteilung der Tatorte suggeriert zunächst ein starkes Stück Deutschland. Mehr als 70 Ermittler(-teams) füllen die Karte mit zahllosen Dienst- und Einsatzorten zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden. Gleichzeitig durchziehen Querverbindungen und Einsatzwege das Land derart, dass ein dichtes Netz filmischer Orte entsteht. Blickt man jedoch genauer in die Karte, wird deutlich, dass die letzten neuen Ermittlerteams die Tatort-Landschaft nicht erweitert haben. Seit 2002 Kommissarin Blum in Konstanz und das Team Börne/Thiel in Münster ihre Ermittlungen aufgenommen haben, gibt es keine neue Heimat mehr. Zudem zeigt ein Blick von der mecklenburgischen Ostseeküste zum Frankenland, dass die Idylle trügt: kein Nordhessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Seit der Wende wurde von den fünf neuen Ländern einzig Sachsen in die Tatort-Landschaft integriert. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit ist in dieselben Regionen gegliedert wie die Rundfunkanstalten, wobei sich die Handlungsorte an die Produktionsstätten und kreativen Zentren anlehnen und die Schwerpunkte und "grauen Flecken" der filmischen Topographien durchaus mit der Größe und Bedeutung der Rundfunkanstalten korrelieren (s. auch Bollhöfer/Hanewinkel 2008). Verknüpft man diese Beobachtungen mit ökonomischen Faktoren der Medienwirtschaft und deren Einfluss auf die räumliche Verteilung der Tatorte, fällt zunächst auf, dass die vier großen Sender WDR, SWR, NDR und BR mit Abstand die meisten Tatorte produzieren. Allein der WDR hat 125 Folgen zu verantworten, knapp gefolgt vom SWR, der aber die Produktionen des SDR und des SWF beinhaltet. Danach folgt mit 112 Tatorten der NDR und mit großem Abstand der BR, der jedoch mit dem Team Batic/Leitmayr die meisten Einsätze zu verbuchen hat. Die zunehmende Tendenz zu festen Ermittlerteams mit langem Ermittlungszeitraum begann mit Schimanski/Thanner, die als erste über einen Zeitraum von zehn Jahren tätig waren. Am längsten dabei ist die noch aktive Lena Odenthal, die 2009 ihr zwanzigjähriges Dienstjubiläum feiern konnte. Ein Effekt der längeren Dienstzeiten ist sicherlich, dass eine immer größere Anzahl von Tatort-Städten auch werbewirksam in Szene gesetzt wird. Produktionsstätten und kreative Zentren der Filmwirtschaft entstehen häufig in räumlicher Nähe zu ihren Auftraggebern. Dementsprechend sind an den Hauptsitzen der Landesrundfunkanstalten (LRA) der ARD sogenannte Mediencluster, kleinräumige Konzentrationen von Unternehmen und Einrichtungen der Medienwirtschaft, entstanden. Diese zeichnen sich durch Fühlungsvorteile, Synergieeffekte und eine Produktion der kurzen Wege aus. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich von den 14 aktuellen Tatort-Kommissariaten neun in Städten mit LRA befinden. Sie sind die fiktionalen Zentren des Verbrechens in Deutschland, wobei München und Hamburg mit 75 beziehungsweise 73 Ermittlungseinsätzen deutliche Akzente setzen. Als prägnantes Beispiel dieses Zusammenhangs kann der Umzug des Ermittlerteams Ehrlicher/Kain von Dresden nach Leipzig im Januar 2000 gesehen werden, nachdem die Sendezentrale des MDR von Dresden nach Leipzig verlagert wurde. Die großen Sendeanstalten NDR, SWR und WDR leisten sich zudem mehrere Tatort-Dienstorte, da sie im Rahmen des Regionalproporzes innerhalb der ARD deutlich mehr Folgen drehen können. Doch auch die aktuellen Standorte wie Ludwigshafen oder Münster zeichnen sich durch enge Produktionsverbindungen zum SWR beziehungsweise WDR aus. So wird der Ludwigshafener Tatort zum großen Teil in Baden-Baden gedreht, neben Stuttgart ebenfalls Sitz des SWR. Die Zentren des Verbrechens liegen also dort, wo auch die Sendeanstalten ihre Zentralen haben. Dies schlägt sich sowohl in den Dienst- als auch in den Drehorten nieder, was insgesamt zu einer komplexen räumlichen Signatur der Tatorte führt. Die Krimireihe spiegelt somit keineswegs die gesamte Republik wider, wohl aber in erheblichem Maß den Alltag der deutschen Fernsehproduktion. Der Tatort thematisiert zwar Heimat, abbilden kann und will er sie aber nicht. Eine eigenständige Qualität erhielt der Regionalbezug ohnehin erst zu Beginn der 1980er Jahre, als die Reihe mit Duisburg-Ruhrort nicht nur einen ganz neuen Ermittlertyp, sondern auch einen Stadtteil zum Hauptdarsteller machte. Doch die Stadt des Schimanski entstand als Kulisse in München, in den Bavaria-Filmstudios, und hatte mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen wenig zu tun. Natürlich litt Duisburg damals unter dem Strukturwandel im Ruhrgebiet, doch während sich in Ruhrort die Fabrikbrachen bereits in Landschaftsparks und Museen verwandelt hatten, bestand im Tatort die Stadt aus verruchten Hafenanlagen, grauen Wohnsiedlungen und Industrieruinen. Vor dem Hintergrund, dass der Tatort als Krimireihe mit starkem Bezug zur westdeutschen Realität gesehen wurde, musste eine solche Darstellung der Stadt für breite Diskussion sorgen, die erst dann verstummte, nachdem der wirtschaftliche Werbeeffekt für Duisburg voll erkannt worden war (vgl. Terkessidis 2007). Insgesamt ist die Verteilung der jeweiligen Dienstorte auf verschiedene regionale Gebiete Deutschlands und die entsprechende Bindung an feste Ermittler(teams) eine höchst erfolgreiche Strategie: Die Zuschauer wissen, worauf sie sich inhaltlich und formal einlassen, wenn sie den Tatort sehen (s. dazu etwa Viehoff 2005). Die Frage nach der räumlichen Struktur ist hingegen komplexer: Was sehen die Zuschauer eigentlich, wenn die Identifikationsangebote bestimmter lokaler Drehorte und bekannter Motive in sich zusammenbrechen, weil die filmische Geographie eine bewusst produzierte Imagination ist?
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