Bibliografie

Detailansicht

Medienkultur und Bildung

eBook - Ästhetische Erziehung im Zeitalter digitaler Netzwerke
ISBN/EAN: 9783593422596
Umbreit-Nr.: 5909289

Sprache: Deutsch
Umfang: 361 S., 18.04 MB
Format in cm:
Einband: Keine Angabe

Erschienen am 11.06.2015
Auflage: 1/2015


E-Book
Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen
€ 46,99
(inklusive MwSt.)
Sofort Lieferbar
  • Zusatztext
    • Unsere schnelllebige Medienkultur wurde von der Medienpädagogik bislang vor allem als Quelle sozialer Probleme behandelt. Die Autorinnen und Autoren, u.a. Alain Bergala, Henry Jenkins und Martin Seel, öffnen den Blick auf eine Medienbildung, der nicht nur eine sozialpädagogische Aufgabe zukommt, sondern auch eine ästhetisch-künstlerische. Sie entwerfen eine Programmatik der ästhetischen Erziehung, die zum Ziel hat, das Wahrnehmungsund Urteilsvermögen der Menschen in der neuen Medienkultur zu schulen.

  • Kurztext
    • Unsere schnelllebige Medienkultur wurde von der Medienpädagogik bislang vor allem als Quelle sozialer Probleme behandelt. Die Autorinnen und Autoren, u.a. Alain Bergala, Henry Jenkins und Martin Seel, öffnen den Blick auf eine Medienbildung, der nicht nur eine sozialpädagogische Aufgabe zukommt, sondern auch eine ästhetisch-künstlerische. Sie entwerfen eine Programmatik der ästhetischen Erziehung, die zum Ziel hat, das Wahrnehmungsund Urteilsvermögen der Menschen in der neuen Medienkultur zu schulen.

  • Autorenportrait
    • Malte Hagener ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Marburg. Vinzenz Hediger ist Professor für Filmwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main.
  • Leseprobe
    • Vorwort<br/>Malte Hagener und Vinzenz Hediger<br/><br/>Etwas hat sich verändert. Stießen die traditionellen Medien aus der Printwelt lange Zeit noch vornehmlich in das bewahrpädagogische Horn und warnten vor den vermeintlichen Gefahren neuer, digitaler Medien, so scheint sich diese Haltung grundlegend gewandelt zu haben. So titelte Der Spiegel im Januar 2014 "Spielen macht klug" und Die Zeit sorgte sich im November 2014, ob die deutschen Schulen den "Anschluss verschlafen" (Kutter 2014: 31f.) hätten in Sachen digitale Medien im Unterricht. Die digitale Welt ist offenbar nicht länger etwas für Nerds und andere anti-soziale Außenseiter. Es dämmert auch der breiten Öffentlichkeit, dass der gesellschaftlichen Sprengkraft der Medien anders begegnet werden muss als mit Ablehnung und Verboten.<br/>Die Besorgnis angesichts der Ignoranz gegenüber den veränderten Medienbedingungen ist allerdings weniger aus der Erkenntnis geboren, dass hier ein genuin neues Feld von Selbst- und Weltbeziehungen in einen umfassenden Bildungsprozess integriert werden muss. Vielmehr speist sie sich zuallererst aus einer Logik des nationalstaatlichen Wettbewerbs. Das schlechte Abschneiden in internationalen Vergleichsstudien, in aller Regel von der OECD koordiniert, ist - wie beim so genannten "Pisa-Schock" - der Auslöser für diese heftigen Attacken von Selbstgeißelung, meist gefolgt von eilig eingerichteten "Schwerpunktprogrammen" und "Aktionsplänen". Auf einer politökonomischen Ebene artikuliert sich darin die Vorstellung eines sich selbst perpetuierenden Wettbewerbs, den man auf individueller, regionaler und nationaler Ebene nicht verschlafen dürfe, sondern immer wieder neu annehmen müsse. Medienkompetenz wird hier zum Standortfaktor, der sich mit dem Ziel der permanenten Selbstoptimierung messen, vergleichen und verbessern lässt.<br/>Im Hintergrund der Befürchtungen und Ängste, mit denen noch jede neue Medientechnologie konfrontiert wird, steht jedoch noch eine andere, extrem hartnäckige Vorstellung von Persönlichkeitsentwicklung, Identität und Subjektivität, die viel stärker als Ursache für diese periodisch auftretenden Erregungen gelten muss als die tatsächlichen und imaginierten Gefahren für die Gesellschaft im kontinuierlichen Wettbewerb. Namentlich ist dies eine Vorstellung von persönlicher Entwicklung und Bildung, die in der Romantik verwurzelt ist. Ob Rousseaus Vorstellung vom edlen Wilden, Philip Otto Runges "Hülsenbecksche Kinder" oder Fröbels Kinder-Garten - stets wird ein vermeintlich originärer Naturzustand einer kulturell deformierten Gegenwart gegenübergestellt. Von dieser furchtsam betrachteten Unübersichtlichkeit des Jetzt ausgehend wird eine Zukunft projiziert, die von gesellschaftlicher Zersetzung, Gewalt und allgemeinem Werteverfall bestimmt ist. Erziehung besteht dann vor allem in der Abwehr von Gefahren, die von außen, ja von außerhalb der Gesellschaft auf das Individuum eindrängen.<br/>Wenn sich nun der Tonfall in den klassischen Medien ändert, dann mag das mag eine Momentaufnahme sein. Es zeugt aber wohl doch von einer wachsenden Einsicht in die Tatsache, dass die mediale Welt keineswegs von unserer Lebenswelt abgetrennt ist, dass es also keine virtuelle Realität (VR) auf der einen und ein echtes Leben, ein "real life (RL)", auf der anderen Seite gibt, die ontologische Gegensätze darstellen. Stattdessen zeigt sich darin die Erkenntnis, dass unsere Kultur eine Medienkultur ist. Wir leben in einer Welt, in der bewegte Bilder und Töne, ja auch Bücher und andere Schriftmedien über digitale Plattformen und mobile Endgeräte so leicht zugänglich sind wie nie zuvor; wir bewegen uns in einer Welt, in der alle unablässig über digitale Netzwerke miteinander zu kommunizieren scheinen. Die grundlegende mediale Verfasstheit unserer Lebensform wirft dabei eine Vielzahl von Fragen auf, auch und gerade mit Blick auf Bildung und Erziehung. In der Öffentlichkeit wurden die Debatten über die neue Medienkultur einige Jahre vor allem im Zeichen des Begriffs der Medienkompetenz geführt. Ob Manfred Spitzers Rede von der "digitalen Demenz" (2012), Frank Schirrmachers Befürchtung, wir würden unser Denken externalisieren und an die digitalen Netzwerke abgeben (2009) oder Nicholas Carrs "Surfen im Seichten" (2013) - die neue Medienkultur erschien zumindest in populären Kassenerfolgen in erster Linie als Quelle sozialer Probleme und gesellschaftlicher Risiken. Das Ziel dieser Kritiker ist es, Kinder und Jugendliche im Umgang mit den Gefahrenpotentialen der neuen Medien zu schulen. Medienbildung in diesem Sinne steht in einer Linie mit der Bewahrpädagogik des 19. Jahrhunderts; es geht in erster Linie um die Prävention vor Gefahren, die in ihrer Konsequenz noch gar nicht abzusehen sind.<br/>Der vorliegenden Band schlägt einen anderen Zugang und einen Paradigmenwechsel in dieser Debatte vor. Die Beiträge in dem Band nehmen die neue Medienkultur als neue Ordnung von Wahrnehmung und Erfahrung in den Blick, die es auch und gerade in ihrer ästhetischen Dimension zu verstehen gilt und die in einer historischen Tiefenperspektive untersucht werden will. Sie umreißen die Konturen eines Verständnisses von Medienbildung, das davon ausgeht, dass Kinder und Jugendliche über Kompetenz und Wissen im Umgang mit technischen Medien immer schon in einem hohen Maß verfügen. Die Beiträge vertreten einen Ansatz von Medienbildung, der sich als Ziel setzt, dieses größtenteils implizite Wissen explizit zu machen und dieses Wissen um vertiefte Kenntnisse der Geschichte und Genese der gegenwärtigen Medienkultur zu ergänzen. Als Ansatzpunkt dient den Beiträgen dabei namentlich das Leitmedium Film, das auch unter digitalen Netzwerkbedingungen in seiner Breitenwirkung als exemplarisch für die kulturprägende Wirkung der technischen Medien gelten kann.<br/>Wenn Luhmanns Diktum zutrifft, dass wir das meiste, was wir wissen, so wissen, wie Plato Kenntnis von Atlantis hatte, nämlich vom Hörensagen, dann trifft heute mehr denn je zu, dass wir die Dinge weniger vom Hörensagen als vom Gesehen-Haben kennen (Luhmann 2004). Lauschte man einst mündlichen Berichten und las später die Zeitung, so teilen wir uns heute mit, indem wir Links zu Videoplattformen mit anderen teilen. Mehr noch: Wir verarbeiten nicht mehr nur Wissen durch und über den Film, wir sind selbst zu Produzenten von filmischem, filmbasiertem Wissen geworden. Jedes Mobiltelefon ist heute auch eine Kamera, und das Herstellen einer Videobotschaft und das Teilen eines selbstgedrehten Films ist mittlerweile leichter geworden als das Schreiben einer Postkarte, mit erheblichen Konsequenzen nicht zuletzt für das, was wir immer noch politische Öffentlichkeit nennen und was gerade einen erneuten Strukturwandel durchläuft, wie nicht zuletzt die politischen Bewegungen in der arabischen Welt, im Iran und in Mittelosteuropa in den letzten Jahren zeigten. Anders als der Medienarchäologe Siegfried Zielinski vor einem Vierteljahrhundert noch prophezeite, sind Film und Fernsehen mit anderen Worten keineswegs Zwischenspiele der Mediengeschichte geblieben (1989). In der Verknüpfung mit der digitalen Netzwerkkommunikation sind sie vielmehr zum neuen Paradigma der Wissensordnung in der digitalen Welt geworden.<br/>Unter den derzeitigen Bedingungen muss damit auch neu ausgehandelt werden, wie wir eine zentrale Vorstellung der Printkultur wie "Literalität" neu justieren. Literalität war immer schon mehr als die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben, sondern bezog stets auch pragmatische und kontextuelle Faktoren ein. Literalität in diesem Sinne impliziert die Einordnung eines Textes in Bezug auf das Selbst- und Weltverständnis des Individuums - welche Bedeutung hat ein Text für mich und was teilt er über die Umwelt mit? Ob wir ein Goethe-Gedicht oder eine Twitter-Meldung, eine Verwaltungsanordnung oder einen Rap-Text vor uns haben, erfordert jeweils die Aktivierung ganz anderer Fähigkeiten, Verarbeitungsschritte und semiotischer Rahmen. Insofern wäre es ein Kurzschluss, Textliteralität monolithisch gegen andere Formen der Literalität zu positionieren, denn auch Textliteralität ist vielfältig und divers (Gee 2003).<br/>Wir gehen im Folgenden von zwei Annahmen aus, die spezifisch medienwissenschaftlichen Zuschnitts sind. Die erste Annahme lautet, dass der Zustand der gegenwärtigen Medienkultur weniger das Ergebnis einer "Mediatisierung" ist, also einer Durchdringung vormals medienfreier sozialer Zusammenhänge durch technische Medien, als vielmehr ein neuer Aggregatszustand von immer schon medial verfassten Lebensformen. Die Medienkultur der Gegenwart - und damit die pädagogischen Herausforderungen, die sie stellt - gilt es nicht so sehr im Zeichen einer Rousseauschen Besorgnis über die Destabilisierung eines fragilen "Naturzustandes" durch das Hinzukommen gefährlicher oder zumindest ambivalenter zivilisatorischer Errungenschaften wie Medien zu lesen. Vielmehr gilt es der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die neuen digitalen Medien allenfalls eine neue Schicht oder eine neue Konfiguration dessen darstellen, was Friedrich Kittler "Aufschreibesysteme" genannt hat (Kittler 2004). Eine Analyse der pädagogischen Herausforderungen der gegenwärtigen Medienkultur müsste demnach schon mit der Figur der Mutter anfangen, mit der Kittler sich ausführlich befasst, die ihrem Kind das Lesen und Schreiben beibringt, und sie müsste davon ausgehen, dass der "Traum vom medienfreien Kind", der neo-rousseauistische Ansätze der Medienpädagogik beseelt, immer schon ausgeträumt ist (Hediger 2011).<br/>Die zweite Annahme lautet, dass eine Medienwissenschaft, die ihrerseits immer schon von der ersten Annahme vorausgegangen ist, einen wichtigen Beitrag zur Frage leisten kann, was Bildung unter den Bedingungen neuer technischer Medien sein soll. Mit ihrer Fachsystematik, die sich in die Bereiche Mediengeschichte, Medienästhetik und Medientheorie gliedert, stellt die Medienwissenschaft historisches Wissen, theoretische Reflektion und analytische Instrumente zur Verfügung, die für eine schulische und außerschulische Bildung im Bereich der Medienkultur gleichermaßen unabdingbar<br/>erscheinen. In der Darlegung der Beiträge, die aus der Medienwissenschaft heraus geleistet werden können, sollen in diesem Band insbesondere die zahlreichen, aber vorläufig auch noch recht zerstreuten Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Pädagogik des Films berücksichtigt werden.<br/>Der Hauptteil des Bandes wird mit einer Sektion von historisch orientierten Beiträgen eröffnet, die aus dem Bereich der Medienwissenschaft und der Philosophie stammen und den hier vertreten Ansatz historisch und systematisch kontextualisieren. Stefan Rieger zeichnet in seinem Beitrag eine kurze Mediengeschichte des Einschaltknopfs nach, also der technischen Vorrichtung, die zum Kristallisationspunkt aller Phantasien einer vom Einfluss der Medien noch freien Kindheit geworden ist. Ausgehend von der medientheoretischen Debatte der letzten zwei Jahrzehnte und in der Auseinandersetzung mit medienkünstlerischen Positionen der Gegenwart vertritt Rieger die These, dass eine Pädagogik der Medien immer davon ausgehen muss, dass es rousseausche Residuen medialer Ungeformtheit nie gab oder konsequenter noch, nie hat geben können. Max Fuchs skizziert vor dem Hintergrund der Philosophie von Helmuth Plessner und Ernst Cassirer die Unhintergehbarkeit von Medien in modernen Welt- und Selbstzusammenhängen. Die Anthropogenese, der Prozess der Menschwerdung, hängt dabei von der Fähigkeit zur "exzentrischen Positionalität" ab, die sich gerade auch in jener symbolischen Form ausdrücken, die gewöhnlich als Medien bezeichnet werden.<br/>Benjamin Jörissen geht davon aus, dass "[d]ie Medialität allen kulturellen Ausdrucks kein nachrangiges, sondern ein konstitutives Moment" ist, und entfaltet vor diesem Hintergrund eine Theorie der Transgression als notwendiger Bestandteil einer jeden Bildungskarriere und somit Persönlichkeitsentwicklung. Jeder Lernprozess, der diesen Namen verdient, beinhaltet also einen Moment der Überschreitung, weil damit ins Unbekannte vorgestoßen wird: "Überschreitung lässt sich bildungstheoretisch in diesem Sinne als Negation des Überschrittenen, also als Einklammerung erworbener Rahmungen oder auch als grundlegendes Um-Lernen verstehen." Marc Ries bezieht das Feld der Musik mit in die Debatte ein und setzt an bei Bachs Solo-Kantate "Ich habe genug", deren "sterbensfrohe Musik" nicht nur für die christliche Heilslehre, sondern auch für das Projekt einer ästhetischen Erziehung, wie es sich im Anschluss an Schiller formulieren lässt, eine Herausforderung darstellt. Indem er das Motiv der Todesssehnsucht bei Bach ernst nimmt und nach einer möglichen Assoziation von Todestrieb und ästhetischer Erziehung fragt, eröffnet Ries zugleich ein Feld, auf dem das klassische Bildungsgut Bach unter dem Gesichtspunkt nach der Frage der Wiederholung unversehens mit zeitgenössischer Popmusik in einen gemeinsamen Horizont der Bildung gestellt wird. Antonio Somaini schließlich führt uns in einer medienarchäologischen Rekonstruktionsarbeit zurück in die Debatten um die erzieherische Wirkung technischer Medien in den 1920er Jahren. Ausgehend von Walter Benjamins Auseinandersetzung mit den fotografischen Arbeiten von August Sander und László Moholy-Nagy zeigt Somaini auf, inwiefern die zeitgenössischen Überlegungen zum fotografischen Atlas als Instrument der Bildung vorausgreifen auf die Herausforderungen der Medienbildung der Gegenwart.<br/>Die zweite Sektion stellt grundlegende Analysen der gegenwärtigen digitalen Medienkultur vor und umreisst damit in einem zweiten Schritt den aktuellen Horizont der Problematik. Einleitend stellt Richard Rogers die Frage nach den Werkzeugen und Methoden, die uns zur Verfügung stehen, um das Netz als einen Ort zu verstehen, der nicht nur die reale Welt abbildet und verdoppelt, sondern der uns genuin neue Möglichkeiten der Vernetzung und Forschung bietet. Wenn wir (fast) alles, was wir über die Welt wissen, aus den Medien wissen, dann gilt das erst recht für das Internet. Gerade heutzutage sind die Medien nicht länger Orte, in denen Welt, Gemeinschaft oder Individualität abgebildet wird, sondern in denen diese Vorstellungen erzeugt und gestaltet werden. In letzter Konsequenz ist damit die Frage nach dem Verhältnis von virtuellen und realen Umgebungen gestellt, die stets intensiver unseren Alltag bestimmen. An eine ähnliche epistemologische Vorstellung von Medien anknüpfend plädiert Christian Stewen dafür, Wissen und seine Vermittlung weniger als statische Entitäten und fixierte Inhalte zu sehen, sondern sich eher für die Prozesse und Dynamiken der Aneignungsprozesse zu interessieren. Dabei spielen mediale und ästhetische Formen eine Schlüsselrolle, weil diese keine transparenten Träger von medienunabhängigen Inhalten sind, sondern stets in ihrer vielschichtigen Eigenbewegung mitgedacht werden müssen.<br/>Petra Missomelius warnt von einer Gefährdung des Wissens - wohl die zentrale Instanz für die Gegenwart und Zukunft der Bildung - angesichts seiner zunehmenden Kommerzialisierung und Handelbarkeit. Damit rahmt sie die aktuelle Debatte um internetbasierte und interaktive Lehr- und Lernformen (Digital Humanities, MOOCs, Open Educational Resources) und schlägt vor, Mash-Ups als eine produktive Alternative zur Herstellung und Verbreitung von Wissen, aber auch zur kritischen Reflektion der gegenwärtigen medialen Situation einzubeziehen. Wolfgang Hagen entwickelt in seinem Beitrag ausgehend von der Präsentationssoftware Power Point eine historische Epistemologie der digitalen Präsentationsmedien. Ausgehend von einer Inventur der kulturkritisch motivierten Zurückweisungen von Power Point geht Hagen in einer doppelten Perspektive, die technische Aspekte ebenso berücksichtigt wie gesellschaftlich-gouvernamentale, der Frage nach, wie sich die Modalitäten der Wissensvermittlung unter digitalen Medienbedingungen verändern. Dabei interessiert er sich namentlich auch für das Verhältnis der Formatvorgaben der Präsentationssoftware zu den Regeln der klassischen Rhetorik und macht so die Formen und Formate der Wissensvermittlung in und mit digitalen Medien selbst zum Gegenstand des Nachdenkens über diePraktiken einer künftigen Medienbildung.<br/>Die dritte Sektion bringt die Schnittstelle zwischen den laufenden Debatten in der Medienpädagogik, in der sozialwissenschaftlichen Medienforschung und der kulturwissenschaftlich geprägten Medienwissenschaft zur Darstellung. Für Katie Clinton, Henry Jenkins und Jenna McWilliams, die ein zwischen Medien- und Erziehungswissenschaften aufgespanntes Projekt geleitet haben, liegt das Problem nicht darin, dass zu wenig Computer im Unterricht eingesetzt werden oder dass es Informatik nicht als Schulfach gibt. Das Problem liegt gleichsam tiefer, denn das derzeitige Schul- und Ausbildungssystem "bereitet Lernende auf ein Leben vor, das zwar den Konsum von Informationen kennt, aber nicht ihre aktive Verbreitung; die kritische Analyse, aber nicht die kreative Betätigung". Stattdessen geht es für sie darum, dass die veränderten Praktiken der kollaborativen Erstellung, Verbreitung und Kommentierung als soziale Praxis der gesellschaftlicher Teilhabe zum Teil des Unterrichts wird. David Buckingham wirft die Frage nach dem richtigen Ansatz der Medienerziehung im Zeitalter einer Kultur der Teilhabe und der partizipativen Medien auf und stellt das Modell einer "Medienbildung 2.0" zur Diskussion. Medienbildung 2.0 geht davon aus, dass die Medienpädagogen selbst aktiv an der digitalen Medienkultur teilhaben müssen, um überhaupt erst das Kompetenzniveau ihrer Schüler zu erreichen. Während Buckingham nicht so weit geht, den Pädagogen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, jegliche Kompetenz abzusprechen, stellt er doch die Frage, wie erfolgreich eine Medienpädagogik sein kann, die davon ausgeht, dass die Schüler mit Medien ohne Anleitung durch Pädagogen nicht umzugehen verstehen.<br/>Friederike Siller fokussiert, welchen Veränderungen unsere Vorstellungen von Kindheit, Lernen und Welt in Zeiten der digitalen Netzwerke unterworfen sind. Insbesondere interessiert sie sich aus medienpädagogischer Sicht um eine Brücke zwischen solchen pädagogischen Ansätzen, die aktiv und dynamisch die neuen Umgebungen des Internets in die Entwicklung des Kindes einbeziehen wollen, und medienwissenschaftlichen Ansätzen: "Kindern einen Zugang zu den digital zur Verfügung gestellten Informationen bereit zu stellen, erfordert auch stets eine gute Portion Zutrauen in den kindlichen Umgang mit einer zu Teilen unkanalisierten und unsortierten Welt der Dinge." Cary Bazalgette wählt eine Mikroperspektive und fragt nach der fortdauernden Geltung der so genannten "Aufmerksamkeitsträgheit", also der Vorstellung, kleine Kinder blieben aufgrund einer inhärenten Trägheit vor audiovisuellen Werken sitzen, die sie gar nicht verstehen. Bazalgette interessiert sich stattdessen für die Lernprozesse, die ja ein ständiges Überschreiten der vorhandenen Grenzen implizieren; in diesem Sinne ist Bildung notwendigerweise stets transgressiv, weil es sich mit dem Status Quo des Erreichten nicht zufrieden gibt - hier korrespondiert Bazalgettes Ansatz mit Benjamin Jörissens Thesen. Tatsächlich argumentiert Bazalgette dafür, das Lernen des Verstehens von Bewegtbildern als Bestandteil einer grundsätzlichen Literalität anzuerkennen.<br/>Der vierte und letzte Teil versammelt Beiträge zu einer Pädagogik des Films, wobei jeweils zwei Texte aus Deutschland und aus Frankreich stammen - zwei Länder, die einen paradigmatischen Status in dieser Debatte haben. Zum einen weisen beide eine lange Vorgeschichte auf, deren Kenntnis wesentlich für das Verständnis des derzeitigen Standes der Dinge ist. Zum anderen hat der Film noch immer nicht den Status von Literatur, Musik oder Kunst erreicht - alle drei Formen sind schulisch anerkannt als Teil eines Kerncurriculums, das man früher einmal als "Allgemeinbildung" bezeichnet hat und heute höchstens noch in den allfälligen Quizshows im Fernsehen aufscheint. Es geht jedoch in diesem Teil nicht nur um den Vergleich oder Kontrast der jeweiligen nationalen Besonderheiten, sondern auch darum, welche konkreten Formen die mediale Bildungs- und Vermittlungsarbeit annehmen können.<br/>Die Texte von Alain Bergala und Roger Odin werfen ein Schlaglicht auf das bislang fraglos erfolgreichste Modell einer an einem Kunstverständnis von Film orientierten Medienbildung, dem Modell, das seit den 1980er Jahren vor allem unter der Ägide des mehrmaligen Kultur- und Bildungsministers Jack Lang in Frankreich entwickelt wurde. Der Filmkritiker, Drehbuchautor und Regisseur Bergala, ein langjähriger Mitarbeiter und zwischenzeitlicher Chefredakteur der Cahiers du cinéma, erläutert in seinem Beitrag die leitenden Prinzipien des Curriculums für Filmbildung in den Mittelschulen, das er nach 2000 im Auftrag von Lang für das französische Bildungsministerium entwickelte. Leitend ist dabei insbesondere der Ansatz, die Filmgestaltung als Prozess künstlerischer Entscheidungen aufzufassen, die es anhand der Filme selbst zu rekonstruieren gilt. Roger Odin wiederum war von 1983 bis 1994 als Professor an der Université-Paris III Gründer der mittlerweile größten Abteilung für Filmwissenschaft an einer französischen Universität und zugleich seit 1983 Berater des Bildungsministeriums in Fragen der Entwicklung eines Filmbildungs-Curriculums. Odin rekonstruiert in seinem Beitrag die miteinander verschränkten Geschichten der Institutionalisierung der Filmwissenschaft und der Filmbildung in Frankreich und eröffnet damit eine wichtige Perspektive einer "histoire parallèle" mit Blick auf ähnliche Bestrebungen in Deutschland.<br/>Die Filmvermittlung an der Schnittstelle von Theorie und Praxis bildet den Fokus der folgenden Texte. Volker Pantenburg und Stefanie Schlüter setzen Filmtheorie und Filmvermittlung angesichts der Veränderungen und Verwerfungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, zueinander ins Verhältnis. Dabei geht es ihnen gerade nicht darum, das Analoge und das Digitale gegeneinander auszuspielen, sondern beide kritisch aufeinander in ihrer Differenz zu beziehen: "Filmvermittlung muss beides sein: YouTube und Filmmuseum; die Gegenwart des digitalen Bildes wie seine Vergangenheit darstellen." Bettina Henzler und Winfried Pauleit präsentieren nicht nur das Bremer Modell der Kunst- und Filmvermittlung, sondern sie stellen die implizite Hierarchisierung zwischen einer primären "Praxis des Filmschaffens [,] einer sekundären Praxis der Filmkritik und der Filmwissenschaft [sowie] eine[r] tertiäre[n] Praxis, [der] Filmpädagogik," in Frage. Damit wird abschließend auch noch einmal deutlich, dass die pädagogische Vermittlungsarbeit keine nachgängige Praxis ist, sondern stets konstitutiver Bestandteil von kulturwissenschaftlicher Untersuchung der Gegenwart.<br/>Der programmatische Einsatz dieses Bandes ist ein zweifacher. Mit der Auswahl und Präsentation der hier versammelten Beiträge wollen die Herausgeber zum einen einen Beitrag dazu leisten, dass die kulturwissenschaftliche Erforschung der gegenwärtigen menschlichen Existenzbedingungen und insbesondere auch die medienwissenschaftliche Untersuchung von Geschichte, Ästhetik und Theorie der Medien ausdrücklich mit der Frage der Bildung und der Erziehung verknüpft werden. Nach mittlerweile drei Jahrzehnten der Forschung im Bereich der kulturwissenschaftlichen Medienwissenschaft an deutschsprachigen Universitäten ist der Moment gekommen, die Relevanz der in diesem Feld entwickelten Ansätzen und der erarbeiteten Ergebnisse für die pädagogische Praxis zum Thema zu machen. Zum anderen geht es umgekehrt darum, die medienpädagogische Forschung und namentlich auch die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Medienkompetenz verstärkt an medienwissenschaftliche Perspektiven heran zu führen. Gebildet zu sein heißt unter anderem, um es mit Benn zu sagen, seine Lage zu erkennen. Heute gebildet zu sein heißt, von der Idee einer medienfreien Welt Abschied zu nehmen und die Genese, die Gegenwart und die Potentiale einer von Medien bestimmten Kultur denken zu können. Das sollte, so die Überzeugung der Herausgeber, auch das primäre Ziel von Medienbildung sein.<br/><br/>Vorwort<br/>Malte Hagener und Vinzenz Hediger<br/><br/>Etwas hat sich verändert. Stießen die traditionellen Medien aus der Printwelt lange Zeit noch vornehmlich in das bewahrpädagogische Horn und warnten vor den vermeintlichen Gefahren neuer, digitaler Medien, so scheint sich diese Haltung grundlegend gewandelt zu haben. So titelte Der Spiegel im Januar 2014 "Spielen macht klug" und Die Zeit sorgte sich im November 2014, ob die deutschen Schulen den "Anschluss verschlafen" (Kutter 2014: 31f.) hätten in Sachen digitale Medien im Unterricht. Die digitale Welt ist offenbar nicht länger etwas für Nerds und andere anti-soziale Außenseiter. Es dämmert auch der breiten Öffentlichkeit, dass der gesellschaftlichen Sprengkraft der Medien anders begegnet werden muss als mit Ablehnung und Verboten.<br/>Die Besorgnis angesichts der Ignoranz gegenüber den veränderten Medienbedingungen ist allerdings weniger aus der Erkenntnis geboren, dass hier ein genuin neues Feld von Selbst- und Weltbeziehungen in einen umfassenden Bildungsprozess integriert werden muss. Vielmehr speist sie sich zuallererst aus einer Logik des nationalstaatlichen Wettbewerbs. Das schlechte Abschneiden in internationalen Vergleichsstudien, in aller Regel von der OECD koordiniert, ist - wie beim so genannten "Pisa-Schock" - der Auslöser für diese heftigen Attacken von Selbstgeißelung, meist gefolgt von eilig eingerichteten "Schwerpunktprogrammen" und "Aktionsplänen". Auf einer politökonomischen Ebene artikuliert sich darin die Vorstellung eines sich selbst perpetuierenden Wettbewerbs, den man auf individueller, regionaler und nationaler Ebene nicht verschlafen dürfe, sondern immer wieder neu annehmen müsse. Medienkompetenz wird hier zum Standortfaktor, der sich mit dem Ziel der permanenten Selbstoptimierung messen, vergleichen und verbessern lässt.<br/>Im Hintergrund der Befürchtungen und Ängste, mit denen noch jede neue Medientechnologie konfrontiert wird, steht jedoch noch eine andere, extrem hartnäckige Vorstellung von Persönlichkeitsentwicklung, Identität und Subjektivität, die viel stärker als Ursache für diese periodisch auftretenden Erregungen gelten muss als die tatsächlichen und imaginierten Gefahren für die Gesellschaft im kontinuierlichen Wettbewerb. Namentlich ist dies eine Vorstellung von persönlicher Entwicklung und Bildung, die in der Romantik verwurzelt ist. Ob Rousseaus Vorstellung vom edlen Wilden, Philip Otto Runges "Hülsenbecksche Kinder" oder Fröbels Kinder-Garten - stets wird ein vermeintlich originärer Naturzustand einer kulturell deformierten Gegenwart gegenübergestellt. Von dieser furchtsam betrachteten Unübersichtlichkeit des Jetzt ausgehend wird eine Zukunft projiziert, die von gesellschaftlicher Zersetzung, Gewalt und allgemeinem Werteverfall bestimmt ist. Erziehung besteht dann vor allem in der Abwehr von Gefahren, die von außen, ja von außerhalb der Gesellschaft auf das Individuum eindrängen.<br/>Wenn sich nun der Tonfall in den klassischen Medien ändert, dann mag das mag eine Momentaufnahme sein. Es zeugt aber wohl doch von einer wachsenden Einsicht in die Tatsache, dass die mediale Welt keineswegs von unserer Lebenswelt abgetrennt ist, dass es also keine virtuelle Realität (VR) auf der einen und ein echtes Leben, ein "real life (RL)", auf der anderen Seite gibt, die ontologische Gegensätze darstellen. Stattdessen zeigt sich darin die Erkenntnis, dass unsere Kultur eine Medienkultur ist. Wir leben in einer Welt, in der bewegte Bilder und Töne, ja auch Bücher und andere Schriftmedien über digitale Plattformen und mobile Endgeräte so leicht zugänglich sind wie nie zuvor; wir bewegen uns in einer Welt, in der alle unablässig über digitale Netzwerke miteinander zu kommunizieren scheinen. Die grundlegende mediale Verfasstheit unserer Lebensform wirft dabei eine Vielzahl von Fragen auf, auch und gerade mit Blick auf Bildung und Erziehung. In der Öffentlichkeit wurden die Debatten über die neue Medienkultur einige Jahre vor allem im Zeichen des Begriffs der Medienkompetenz geführt. Ob Manfred Spitzers Rede von der "digitalen Demenz" (2012), Frank Schirrmachers Befürchtung, wir würden unser Denken externalisieren und an die digitalen Netzwerke abgeben (2009) oder Nicholas Carrs "Surfen im Seichten" (2013) - die neue Medienkultur erschien zumindest in populären Kassenerfolgen in erster Linie als Quelle sozialer Probleme und gesellschaftlicher Risiken. Das Ziel dieser Kritiker ist es, Kinder und Jugendliche im Umgang mit den Gefahrenpotentialen der neuen Medien zu schulen. Medienbildung in diesem Sinne steht in einer Linie mit der Bewahrpädagogik des 19. Jahrhunderts; es geht in erster Linie um die Prävention vor Gefahren, die in ihrer Konsequenz noch gar nicht abzusehen sind.<br/>Der vorliegenden Band schlägt einen anderen Zugang und einen Paradigmenwechsel in dieser Debatte vor. Die Beiträge in dem Band nehmen die neue Medienkultur als neue Ordnung von Wahrnehmung und Erfahrung in den Blick, die es auch und gerade in ihrer ästhetischen Dimension zu verstehen gilt und die in einer historischen Tiefenperspektive untersucht werden will. Sie umreißen die Konturen eines Verständnisses von Medienbildung, das davon ausgeht, dass Kinder und Jugendliche über Kompetenz und Wissen im Umgang mit technischen Medien immer schon in einem hohen Maß verfügen. Die Beiträge vertreten einen Ansatz von Medienbildung, der sich als Ziel setzt, dieses größtenteils implizite Wissen explizit zu machen und dieses Wissen um vertiefte Kenntnisse der Geschichte und Genese der gegenwärtigen Medienkultur zu ergänzen. Als Ansatzpunkt dient den Beiträgen dabei namentlich das Leitmedium Film, das auch unter digitalen Netzwerkbedingungen in seiner Breitenwirkung als exemplarisch für die kulturprägende Wirkung der technischen Medien gelten kann.<br/>Wenn Luhmanns Diktum zutrifft, dass wir das meiste, was wir wissen, so wissen, wie Plato Kenntnis von Atlantis hatte, nämlich vom Hörensagen, dann trifft heute mehr denn je zu, dass wir die Dinge weniger vom Hörensagen als vom Gesehen-Haben kennen (Luhmann 2004). Lauschte man einst mündlichen Berichten und las später die Zeitung, so teilen wir uns heute mit, indem wir Links zu Videoplattformen mit anderen teilen. Mehr noch: Wir verarbeiten nicht mehr nur Wissen durch und über den Film, wir sind selbst zu Produzenten von filmischem, filmbasiertem Wissen geworden. Jedes Mobiltelefon ist heute auch eine Kamera, und das Herstellen einer Videobotschaft und das Teilen eines selbstgedrehten Films ist mittlerweile leichter geworden als das Schreiben einer Postkarte, mit erheblichen Konsequenzen nicht zuletzt für das, was wir immer noch politische Öffentlichkeit nennen und was gerade einen erneuten Strukturwandel durchläuft, wie nicht zuletzt die politischen Bewegungen in der arabischen Welt, im Iran und in Mittelosteuropa in den letzten Jahren zeigten. Anders als der Medienarchäologe Siegfried Zielinski vor einem Vierteljahrhundert noch prophezeite, sind Film und Fernsehen mit anderen Worten keineswegs Zwischenspiele der Mediengeschichte geblieben (1989). In der Verknüpfung mit der digitalen Netzwerkkommunikation sind sie vielmehr zum neuen Paradigma der Wissensordnung in der digitalen Welt geworden.<br/>Unter den derzeitigen Bedingungen muss damit auch neu ausgehandelt werden, wie wir eine zentrale Vorstellung der Printkultur wie "Literalität" neu justieren. Literalität war immer schon mehr als die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben, sondern bezog stets auch pragmatische und kontextuelle Faktoren ein. Literalität in diesem Sinne impliziert die Einordnung eines Textes in Bezug auf das Selbst- und Weltverständnis des Individuums - welche Bedeutung hat ein Text für mich und was teilt er über die Umwelt mit? Ob wir ein Goethe-Gedicht oder eine Twitter-Meldung, eine Verwaltungsanordnung oder einen Rap-Text vor uns haben, erfordert jeweils die Aktivierung ganz anderer Fähigkeiten, Verarbeitungsschritte und semiotischer Rahmen. Insofern wäre es ein Kurzschluss, Textliteralität monolithisch gegen andere Formen der Literalität zu positionieren, denn auch Textliteralität ist vielfältig und divers (Gee 2003).<br/>Wir gehen im Folgenden von zwi Annahmen aus, die spezifisch medienwissenschaftlichen Zuschnitts sind. Die erste Annahme lautet, dass der Zustand der gegenwärtigen Medienkultur weniger das Ergebnis einer "Mediatisierung" ist, also einer Durchdringung vormals medienfreier sozialer Zusammenhänge durch technische Medien, als vielmehr ein neuer Aggregatszustand von immer schon medial verfassten Lebensformen. Die Medienkultur der Gegenwart - und damit die pädagogischen Herausforderungen, die sie stellt - gilt es nicht so sehr im Zeichen einer Rousseauschen Besorgnis über die Destabilisierung eines fragilen "Naturzustandes" durch das Hinzukommen gefährlicher oder zumindest ambivalenter zivilisatorischer Errungenschaften wie Medien zu lesen. Vielmehr gilt es der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die neuen digitalen Medien allenfalls eine neue Schicht oder eine neue Konfiguration dessen darstellen, was Friedrich Kittler "Aufschreibesysteme" genannt hat (Kittler 2004). Eine Analyse der pädagogischen Herausforderungen der gegenwärtigen Medienkultur müsste demnach schon mit der Figur der Mutter anfangen, mit der Kittler sich ausführlich befasst, die ihrem Kind das Lesen und Schreiben beibringt, und sie müsste davon ausgehen, dass der "Traum vom medienfreien Kind", der neo-rousseauistische Ansätze der Medienpädagogik beseelt, immer schon ausgeträumt ist (Hediger 2011).<br/>Die zweite Annahme lautet, dass eine Medienwissenschaft, die ihrerseits immer schon von der ersten Annahme vorausgegangen ist, einen wichtigen Beitrag zur Frage leisten kann, was Bildung unter den Bedingungen neuer technischer Medien sein soll. Mit ihrer Fachsystematik, die sich in die Bereiche Mediengeschichte, Medienästhetik und Medientheorie gliedert, stellt die Medienwissenschaft historisches Wissen, theoretische Reflektion und analytische Instrumente zur Verfügung, die für eine schulische und außerschulische Bildung im Bereich der Medienkultur gleichermaßen unabdingbar<br/>erscheinen. In der Darlegung der Beiträge, die aus der Medienwissenschaft heraus geleistet werden können, sollen in diesem Band insbesondere die zahlreichen, aber vorläufig auch noch recht zerstreuten Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Pädagogik des Films berücksichtigt werden.<br/>Der Hauptteil des Bandes wird mit einer Sektion von historisch orientierten Beiträgen eröffnet, die aus dem Bereich der Medienwissenschaft und der Philosophie stammen und den hier vertreten Ansatz historisch und systematisch kontextualisieren. Stefan Rieger zeichnet in seinem Beitrag eine kurze Mediengeschichte des Einschaltknopfs nach, also der technischen Vorrichtung, die zum Kristallisationspunkt aller Phantasien einer vom Einfluss der Medien noch freien Kindheit geworden ist. Ausgehend von der medientheoretischen Debatte der letzten zwei Jahrzehnte und in der Auseinandersetzung mit medienkünstlerischen Positionen der Gegenwart vertritt Rieger die These, dass eine Pädagogik der Medien immer davon ausgehen muss, dass es rousseausche Residuen medialer Ungeformtheit nie gab oder konsequenter noch, nie hat geben können. Max Fuchs skizziert vor dem Hintergrund der Philosophie von Helmuth Plessner und Ernst Cassirer die Unhintergehbarkeit von Medien in modernen Welt- und Selbstzusammenhängen. Die Anthropogenese, der Prozess der Menschwerdung, hängt dabei von der Fähigkeit zur "exzentrischen Positionalität" ab, die sich gerade auch in jener symbolischen Form ausdrücken, die gewöhnlich als Medien bezeichnet werden.<br/>Benjamin Jörissen geht davon aus, dass "[d]ie Medialität allen kulturellen Ausdrucks kein nachrangiges, sondern ein konstitutives Moment" ist, und entfaltet vor diesem Hintergrund eine Theorie der Transgression als notwendiger Bestandteil einer jeden Bildungskarriere und somit Persönlichkeitsentwicklung. Jeder Lernprozess, der diesen Namen verdient, beinhaltet also einen Moment der Überschreitung, weil damit ins Unbekannte vorgestoßen wird: "Überschreitung lässt sich bildungstheoretisch in diesem Sinne als Negation des Überschrittenen, also als Einklammerung erworbener Rahmungen oder auch als grundlegendes Um-Lernen verstehen." Marc Ries bezieht das Feld der Musik mit in die Debatte ein und setzt an bei Bachs Solo-Kantate "Ich habe genug", deren "sterbensfrohe Musik" nicht nur für die christliche Heilslehre, sondern auch für das Projekt einer ästhetischen Erziehung, wie es sich im Anschluss an Schiller formulieren lässt, eine Herausforderung darstellt. Indem er das Motiv der Todesssehnsucht bei Bach ernst nimmt und nach einer möglichen Assoziation von Todestrieb und ästhetischer Erziehung fragt, eröffnet Ries zugleich ein Feld, auf dem das klassische Bildungsgut Bach unter dem Gesichtspunkt nach der Frage der Wiederholung unversehens mit zeitgenössischer Popmusik in einen gemeinsamen Horizont der Bildung gestellt wird. Antonio Somaini schließlich führt uns in einer medienarchäologischen Rekonstruktionsarbeit zurück in die Debatten um die erzieherische Wirkung technischer Medien in den 1920er Jahren. Ausgehend von Walter Benjamins Auseinandersetzung mit den fotografischen Arbeiten von August Sander und László Moholy-Nagy zeigt Somaini auf, inwiefern die zeitgenössischen Überlegungen zum fotografischen Atlas als Instrument der Bildung vorausgreifen auf die Herausforderungen der Medienbildung der Gegenwart.<br/>Die zweite Sektion stellt grundlegende Analysen der gegenwärtigen digitalen Medienkultur vor und umreisst damit in einem zweiten Schritt den aktuellen Horizont der Problematik. Einleitend stellt Richard Rogers die Frage nach den Werkzeugen und Methoden, die uns zur Verfügung stehen, um das Netz als einen Ort zu verstehen, der nicht nur die reale Welt abbildet und verdoppelt, sondern der uns genuin neue Möglichkeiten der Vernetzung und Forschung bietet. Wenn wir (fast) alles, was wir über die Welt wissen, aus den Medien wissen, dann gilt das erst recht für das Internet. Gerade heutzutage sind die Medien nicht länger Orte, in denen Welt, Gemeinschaft oder Individualität abgebildet wird, sondern in denen diese Vorstellungen erzeugt und gestaltet werden. In letzter Konsequenz ist damit die Frage nach dem Verhältnis von virtuellen und realen Umgebungen gestellt, die stets intensiver unseren Alltag bestimmen. An eine ähnliche epistemologische Vorstellung von Medien anknüpfend plädiert Christian Stewen dafür, Wissen und seine Vermittlung weniger als statische Entitäten und fixierte Inhalte zu sehen, sondern sich eher für die Prozesse und Dynamiken der Aneignungsprozesse zu interessieren. Dabei spielen mediale und ästhetische Formen eine Schlüsselrolle, weil diese keine transparenten Träger von medienunabhängigen Inhalten sind, sondern stets in ihrer vielschichtigen Eigenbewegung mitgedacht werden müssen.<br/>Petra Missomelius warnt von einer Gefährdung des Wissens - wohl die zentrale Instanz für die Gegenwart und Zukunft der Bildung - angesichts seiner zunehmenden Kommerzialisierung und Handelbarkeit. Damit rahmt sie die aktuelle Debatte um internetbasierte und interaktive Lehr- und Lernformen (Digital Humanities, MOOCs, Open Educational Resources) und schlägt vor, Mash-Ups als eine produktive Alternative zur Herstellung und Verbreitung von Wissen, aber auch zur kritischen Reflektion der gegenwärtigen medialen Situation einzubeziehen. Wolfgang Hagen entwickelt in seinem Beitrag ausgehend von der Präsentationssoftware Power Point eine historische Epistemologie der digitalen Präsentationsmedien. Ausgehend von einer Inventur der kulturkritisch motivierten Zurückweisungen von Power Point geht Hagen in einer doppelten Perspektive, die technische Aspekte ebenso berücksichtigt wie gesellschaftlich-gouvernamentale, der Frage nach, wie sich die Modalitäten der Wissensvermittlung unter digitalen Medienbedingungen verändern. Dabei interessiert er sich namentlich auch für das Verhältnis der Formatvorgaben der Präsentationssoftware zu den Regeln der klassischen Rhetorik und macht so die Formen und Formate der Wissensvermittlung in und mit digitalen Medien selbst zum Gegenstand des Nachdenkens über die Praktiken einer künftigen Medienbildung.<br/>Die dritte Sektion bringt die Schnittstelle zwischen den laufenden Debatten in der Medienpädagogik, in der sozialwissenschaftlichen Medienforschung und der kulturwissenschaftlich geprägten Medienwissenschaft zur Darstellung. Für Katie Clinton, Henry Jenkins und Jenna McWilliams, die ein zwischen Medien- und Erziehungswissenschaften aufgespanntes Projekt geleitet haben, liegt das Problem nicht darin, dass zu wenig Computer im Unterricht eingesetzt werden oder dass es Informatik nicht als Schulfach gibt. Das Problem liegt gleichsam tiefer, denn das derzeitige Schul- und Ausbildungssystem "bereitet Lernende auf ein Leben vor, das zwar den Konsum von Informationen kennt, aber nicht ihre aktive Verbreitung; die kritische Analyse, aber nicht die kreative Betätigung". Stattdessen geht es für sie darum, dass die veränderten Praktiken der kollaborativen Erstellung, Verbreitung und Kommentierung als soziale Praxis der gesellschaftlicher Teilhabe zum Teil des Unterrichts wird. David Buckingham wirft die Frage nach dem richtigen Ansatz der Medienerziehung im Zeitalter einer Kultur der Teilhabe und der partizipativen Medien auf und stellt das Modell einer "Medienbildung 2.0" zur Diskussion. Medienbildung 2.0 geht davon aus, dass die Medienpädagogen selbst aktiv an der digitalen Medienkultur teilhaben müssen, um überhaupt erst das Kompetenzniveau ihrer Schüler zu erreichen. Während Buckingham nicht so weit geht, den Pädagogen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, jegliche Kompetenz abzusprechen, stellt er doch die Frage, wie erfolgreich eine Medienpädagogik sein kann, die davon ausgeht, dass die Schüler mit Medien ohne Anleitung durch Pädagogen nicht umzugehen verstehen.<br/>Friederike Siller fokussiert, welchen Veränderungen unsere Vorstellungen von Kindheit, Lernen und Welt in Zeiten der digitalen Netzwerke unterworfen sind. Insbesondere interessiert sie sich aus medienpädagogischer Sicht um eine Brücke zwischen solchen pädagogischen Ansätzen, die aktiv und dynamisch die neuen Umgebungen des Internets in die Entwicklung des Kindes einbeziehen wollen, und medienwissenschaftlichen Ansätzen: "Kindern einen Zugang zu den digital zur Verfügung gestellten Informationen bereit zu stellen, erfordert auch stets eine gute Portion Zutrauen in den kindlichen Umgang mit einer zu Teilen unkanalisierten und unsortierten Welt der Dinge." Cary Bazalgette wählt eine Mikroperspektive und fragt nach der fortdauernden Geltung der so genannten "Aufmerksamkeitsträgheit", also der Vorstellung, kleine Kinder blieben aufgrund einer inhärenten Trägheit vor audiovisuellen Werken sitzen, die sie gar nicht verstehen. Bazalgette interessiert sich stattdessen für die Lernprozesse, die ja ein ständiges Überschreiten der vorhandenen Grenzen implizieren; in diesem Sinne ist Bildung notwendigerweise stets transgressiv, weil es sich mit dem Status Quo des Erreichten nicht zufrieden gibt - hier korrespondiert Bazalgettes Ansatz mit Benjamin Jörissens Thesen. Tatsächlich argumentiert Bazalgette dafür, das Lernen des Verstehens von Bewegtbildern als Bestandteil einer grundsätzlichen Literalität anzuerkennen.<br/>Der vierte und letzte Teil versammelt Beiträge zu einer Pädagogik des Films, wobei jeweils zwei Texte aus Deutschland und aus Frankreich stammen - zwei Länder, die einen paradigmatischen Status in dieser Debatte haben. Zum einen weisen beide eine lange Vorgeschichte auf, deren Kenntnis wesentlich für das Verständnis des derzeitigen Standes der Dinge ist. Zum anderen hat der Film noch immer nicht den Status von Literatur, Musik oder Kunst erreicht - alle drei Formen sind schulisch anerkannt als Teil eines Kerncurriculums, das man früher einmal als "Allgemeinbildung" bezeichnet hat und heute höchstens noch in den allfälligen Quizshows im Fernsehen aufscheint. Es geht jedoch in diesem Teil nicht nur um den Vergleich oder Kontrast der jeweiligen nationalen Besonderheiten, sondern auch darum, welche konkreten Formen die mediale Bildungs- und Vermittlungsarbeit annehmen können.<br/>Die Texte von Alain Bergala und Roger Odin werfen ein Schlaglicht auf das bislang fraglos erfolgreichste Modell einer an einem Kunstverständnis von Film orientierten Medienbildung, dem Modell, das seit den 1980er Jahren vor allem unter der Ägide des mehrmaligen Kultur- und Bildungsministers Jack Lang in Frankreich entwickelt wurde. Der Filmkritiker, Drehbuchautor und Regisseur Bergala, ein langjähriger Mitarbeiter und zwischenzeitlicher Chefredakteur der Cahiers du cinéma, erläutert in seinem Beitrag die leitenden Prinzipien des Curriculums für Filmbildung in den Mittelschulen, das er nach 2000 im Auftrag von Lang für das französische Bildungsministerium entwickelte. Leitend ist dabei insbesondere der Ansatz, die Filmgestaltung als Prozess künstlerischer Entscheidungen aufzufassen, die es anhand der Filme selbst zu rekonstruieren gilt. Roger Odin wiederum war von 1983 bis 1994 als Professor an der Université-Paris III Gründer der mittlerweile größten Abteilung für Filmwissenschaft an einer französischen Universität und zugleich seit 1983 Berater des Bildungsministeriums in Fragen der Entwicklung eines Filmbildungs-Curriculums. Odin rekonstruiert in seinem Beitrag die miteinander verschränkten Geschichten der Institutionalisierung der Filmwissenschaft und der Filmbildung in Frankreich und eröffnet damit eine wichtige Perspektive einer "histoire parallèle" mit Blick auf ähnliche Bestrebungen in Deutschland.<br/>Die Filmvermittlung an der Schnittstelle von Theorie und Praxis bildet den Fokus der folgenden Texte. Volker Pantenburg und Stefanie Schlüter setzen Filmtheorie und Filmvermittlung angesichts der Veränderungen und Verwerfungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, zueinander ins Verhältnis. Dabei geht es ihnen gerade nicht darum, das Analoge und das Digitale gegeneinander auszuspielen, sondern beide kritisch aufeinander in ihrer Differenz zu beziehen: "Filmvermittlung muss beides sein: YouTube und Filmmuseum; die Gegenwart des digitalen Bildes wie seine Vergangenheit darstellen." Bettina Henzler und Winfried Pauleit präsentieren nicht nur das Bremer Modell der Kunst- und Filmvermittlung, sondern sie stellen die implizite Hierarchisierung zwischen einer primären "Praxis des Filmschaffens [,] einer sekundären Praxis der Filmkritik und der Filmwissenschaft [sowie] eine[r] tertiäre[n] Praxis, [der] Filmpädagogik," in Frage. Damit wird abschließend auch noch einmal deutlich, dass die pädagogische Vermittlungsarbeit keine nachgängige Praxis ist, sondern stets konstitutiver Bestandteil von kulturwissenschaftlicher Untersuchung der Gegenwart.<br/>Der programmatische Einsatz dieses Bandes ist ein zweifacher. Mit der Auswahl und Präsentation der hier versammelten Beiträge wollen die Herausgeber zum einen einen Beitrag dazu leisten, dass die kulturwissenschaftliche Erforschung der gegenwärtigen menschlichen Existenzbedingungen und insbesondere auch die medienwissenschaftliche Untersuchung von Geschichte, Ästhetik und Theorie der Medien ausdrücklich mit der Frage der Bildung und der Erziehung verknüpft werden. Nach mittlerweile drei Jahrzehnten der Forschung im Bereich der kulturwissenschaftlichen Medienwissenschaft an deutschsprachigen Universitäten ist der Moment gekommen, die Relevanz der in diesem Feld entwickelten Ansätzen und der erarbeiteten Ergebnisse für die pädagogische Praxis zum Thema zu machen. Zum anderen geht es umgekehrt darum, die medienpädagogische Forschung und namentlich auch die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Medienkompetenz verstärkt an medienwissenschaftliche Perspektiven heran zu führen. Gebildet zu sein heißt unter anderem, um es mit Benn zu sagen, seine Lage zu erkennen. Heute gebildet zu sein heißt, von der Idee einer medienfreien Welt Abschied zu nehmen und die Genese, die Gegenwart und die Potentiale einer von Medien bestimmten Kultur denken zu können. Das sollte, so die Überzeugung der Herausgeber, auch das primäre Ziel von Medienbildung sein.<br/><br/>Philosophie, Theorie, Geschichte<br/><br/>Die Erziehung der Medien<br/>Stefan Rieger<br/>"Denn seit einiger Zeit schon waren sie au einen herrlichen Erwerbszweig geraten, indem sie alle ihre Mädchen zu Erzieherinnen machten und versandten. Kluge und unkluge, gesunde und kränkliche Kinder wurden in dieser Weise zubereitet in eigenen Anstalten und für alle Bedürfnisse. Wie man Forellen verschiedentlich behandelt, sie blau absiedet oder backt oder spickt und so weiter, so wurden die guten Mädchen entweder mehr positiv christlich oder mehr weltlich, mehr für die Sprachen oder mehr für die Musik, für vornehme Häuser oder für mehr bürgerliche Familien zugerichtet, je nach der Weltgegend, für welche sie bestimmt waren und von wo die Nachfrage kam." (Keller 1972 [1865])<br/>"Zu einem laboratoriumsmäßigen Arbeiten, bei dem ein und dasselbe Phänomen in vielfacher Wiederholung studiert werden muß, haben nun Medien und Intelligenzen schon meist gar keine Lust.Hier muß oder kann nun unbedingt eine Erziehung der Medien einsetzen."(Grunewald 1920: 21)<br/>1. Durchformungen<br/>Die Rede von der Medienpädagogik hat einen schweren Stand, das sei vorab und durchaus zu ihren Gunsten schon einmal zugestanden. Ihre Sachwalter gelten mitsamt den ihnen zugehörigen Institutionen, allen voran den Schulen, als Spaßbremsen, die oft in Unkenntnis des technisch Möglichen, aber auch im Unverständnis gegenüber einer implizit durchaus vorhandenen Medienkompetenz ihrer Klientel vor allem eines betreiben: Sanktion und Prävention. Mit dem Rüstzeug altertümlich anmutender Konzepte wie dem einer humanistischen Bildung und im Schlagschatten überaus prominenter Sachwalter wie Friedrich Schiller, Wilhelm von Humboldt oder Johann Heinrich Pestalozzi scheint die Pädagogenzunft nur bedingt geeignet, den Anschluss an die je aktuellen Erscheinungsformen des technisch Möglichen zu gewährleisten.Für die Bewahrung eines bestimmten und in der Goethezeit vor allem mittels der Kulturtechnik des Lesens etablierten Bildungsideals gibt es ein nur scheinbar unscheinbares Requisit technischer Medien, in dem sich die Präventionspolitik regelrecht materialisiert: Die Rede ist vom Einschaltknopf. Mit seiner Hilfe, so die gleichermaßen verkürzte wie polemisch zugespitzte Lesart dieser Lesart, lasse sich Hin- und Herschalten: Nicht zwischen den einzelnen Programmen innerhalb des Mediensystems Fernsehen (das natürlich auch!), sondern zwischen den Leitprogrammen unserer Kultur selbst, also zwischen dem, was als Natur und was als Kultur veranlagt wird. Jener Einschaltknopf, der als Emblem für die auszuhandelnde und vor allem sanktionsfähige Verweildauer im mediatisierten Raum gilt, wird auf diese Weise zum Fetisch, der eines der größten Phantasmen unseres sorgsam kultivierten Selbstverständnisses berührt: die Vorstellung eines amedialen Raumes, in dem der Mensch frei von allen Über- und Durchformungen kultureller, sozialer, politischer und sonstiger Art ganz und nur bei sich und das heißt Natur sein darf.Es wäre müßig und ungebührlich polemisch, auf die verfehlten Prämissen dieser Haltung hinzuweisen und mit Autoren wie Walter Benjamin oder Siegfried Kracauer Positionen einer inzwischen klassischen Moderne ins Feld zu führen, die stellvertretend für andere schon vor rund einem ganzen Jahrhundert diese Sicht auf die Welt als unangemessen, unterkomplex und hoffnungslos naiv beschrieben haben. Was Benjamin wie Kracauer stattdessen zu bedenken geben, ist ein auf Dauer gestellter Zustand der Mediatisierung, die als zweite Natur des Menschen gegenüber einer privilegierten ersten Natur ausspielen zu wollen ein kaum zu überbietender Gestus falscher Romantisierung wäre. Für Theorieansätze in Sachen Mediatisierung gilt, was Kracauer für entsprechende Lagebeschreibungen der Moderne in seinem programmatischen Essay Das Ornament der Masse von 1908 skizziert hat, jener Befund nämlich, der besagt, dass die vielfältigen Antastungen des Menschen nicht zu annullieren sind und dieser weder technisch noch medial auf Null zu stellen ist (Kracauer 1992 [1927]).Weniger müßig, weil er einen praktischen Zugang zu einer anderen oder veränderten Medienpädagogik darstellt, ist der Hinweis auf die historische Dekodierung jener Leitprogramme, die im Schulkanon und in den Pädagogenköpfen nur sehr unzureichend Beachtung fanden und deren Austreibung vielleicht folgenreicher hätte werden können, als es die Rede von der Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften so manchen hat befürchten lassen (Kittler 1980). Dass es in Deutschland einmal eine Medientheorie gegeben hat, die in aller Konsequenz die schwergewichtigen Konzepte von Natur, Individualität und einem unverwechselbaren Stil auf Diskurseffekte wie technische Medien oder soziale Praktiken zurückgeführt hat und dass derlei Einsichten im Namen des Leitkonzeptes eines der maßgeblichen Opfer schwärzester altväterlicher Pädagogik, nämlich im Namen der Aufschreibesysteme des Dresdener Senatsgerichtspräsidenten Daniel Paul Schreber zu erfolgen hatte, konnte und kann in die höheren Lehranstalten nur schwer Einzug halten (Kittler 1985a). Das liegt schlicht daran, dass sie deren höchsteigene Grundfeste berührt, indem sie den für das Erziehungsgeschäft bestimmten natürlichen Menschen nicht auf überhistorisch gültige Fundamente stellt, sondern statt solcher Fundamente allerorten auf diskursive Effekte mit einer durchaus beschränkten Haltwertszeit pocht. Wer glaubt, der freie Schulaufsatz wäre der Ausdruck einer ungemodelten (oder, um in der Diktion Kracauers zu bleiben, unangetasteten) Individualität und in der Kunsterziehung breche sich gar der natürliche Ausdruck ungeformter Schülerseelen Bahn, der tut gut daran, die Arbeiten Friedrich Kittlers dann doch noch einmal zu Rate zu ziehen. Sieht man von ihrem provozierenden Gestus ab, so kann man dort lernen, was es mit dem Subjektstatus des Beamten auf sich hat, der ja für das Gros der Pädagogenzunft heute noch Telos ist, was es mit Schiller als Schüler einer höheren Lehranstalt oder was es mit Rilke und der Kunsterziehung um 1900 auf sich hat (Kittler 1988; Kittler 1985b). Und natürlich täte man gut daran, auch den Dichterfürsten Goethe höchstselbst ins Rennen zu schicken. Immerhin gibt der anlässlich seines Romans Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden ein Paradebeispiel für die Spiele der Macht zu lesen, das im historischen Rückblick mindestens zweier Aufschreibesysteme den Traum von der Prävention und vom Einschaltknopf als schon in der Goethezeit längst ausgeträumten ausweist und in seiner strategischen Naivität vorführt: Verbot, Untersagung und Uniformierung taugen nicht, wenn man etwa aus den Kleidungsgewohnheiten Einblicke in individualisierte Zöglingsseelen nehmen will. Wie in einem Lehrstück Foucaultscher Macht- und Luhmannscher Individualisierungsanalyse erfährt Wilhelm bei seiner Reise durch die pädagogische Provinz, dass nicht in der Sanktion, sondern im regulierten Zugeständnis von Freiheitsgraden der Schlüssel zum Erfolg liegt. Die ebenso subtile wie perfide Freigabe des persönlichen Kleidungscodes fördert ein für das Erziehungsgeschäft grandioses Ergebnis zutage, den Befund nämlich, dass man sich nicht nicht verhalten kann, das also jede Wahl, die im Reich der Mode für eine Litze oder gegen eine Bordüre getroffen wird, eine Wahl ist, die anderenorts Aussagekraft erhält, ist sie doch ein probates Mittel zur allgemeinen Knabengemütserforschung."Ein anderer Anblick reizte, heute wie gestern, des Wanderers Neugierde; es war Mannigfaltigkeit an Farbe und Schnitt der Zöglingskleidung; hier schien kein Stufengang obzuwalten, denn solche, die verschieden grüßten, waren überein gekleidet, gleich Grüßende waren anders angezogen. Wilhelm fragte nach der Ursache dieses scheinbaren Widerspruchs. "Er löst sich", versetzte jener, "darin auf, daß es ein Mittel ist, die Gemüter der Knaben eigens zu erforschen. Wir lassen, bei sonstiger Strenge und Ordnung, in diesem Fall eine gewisse Willkür gelten. Innerhalb des Kreises unserer Vorräte an Tüchern und Verbrämungen dürfen die Zöglinge nach beliebiger Farbe greifen, so auch innerhalb einer mäßigen Beschränkung Form und Schnitt wählen; dies beobachten wir genau, denn an der Farbe läßt sich die Sinnesweise, an dem Schnitt die Lebensweise des Menschen erkennen." (Goethe 1982 [1796]: 165f.)Die im ideologiekritischen Diskurs gerne benutzte und im Umfeld der Massenmedien kultivierte Rede von der Entlarvung bestehender Macht- und Formierungsverhältnisse verbietet sich im Umgang mit Medienkonsum, weil sie mit der Unterstellung unangetasteter Residuen und den Schaltspielen am Einschaltknopf die Sachlage in jeder Hinsicht verfehlt. Nimmt man diesen Ansatz ernst, so liefe Prävention auf eine quantitativ regulierte Zugangsweise zu einer Welt hinaus, die uns längst qualitativ vollumfänglich erfasst hat. Das beschreiben zu können und beschrieben zu haben, ist nicht das geringste Verdienst einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Medientheorie, die in der Formung des Menschen durch Mediensysteme nicht die larmoyant zu beklagende Ausnahme, sondern den Standardnormfall sieht (Rieger 2001: 30ff.). Standardnormalfälle jedoch haben nun einmal die Eigenart, dass ihre Gültigkeit übergreifend ist und sich nicht, was unsere Kultur gerne nahelegt, auf eine wie weit auch immer gefasste Moderne und uns als deren Helden beschränkt, die ihren Glanz der bloßen Gnade der Aktualität verdanken. Die Gültigkeit der Prämisse, dass in der Umwelt des Menschen immer schon unterschiedlich ausgeformte Medien waren und dass es diese Medien waren, die dem, was wir Menschen nennen, seine Gestalt und nicht zuletzt seine grundsätzliche Aussagbarkeit verleihen, hat eine methodische Konsequenz, die mit der Historizität einer jeglichen Mensch-Medien-Relation unserem Narzissmus eine nicht geringe Abfuhr erteilt.Dabei geht es nicht um ein Mehr oder Weniger an Durchformung im Sinne einer quantitativen, sondern um eine qualitative Bestimmung. Der Blick in eine bestimmte Semantik stellt das nachgerade mustergültig vor Augen: Die Rede ist von jener Immersion, die heute ihre zu wenig geschützte Klientel in digitale Abgründe und die Hölle sozialer Vereinsamung stürzt. Reflexhaft bestimmt dieses Szenario nach jedem neuen Schulamoklauf die Feuilletons und ruft nicht minder reflexhaft die Medienwirkungsforschung auf den Plan (Fromme 2006). Dass es just diese maritime Metaphorik war, die in der Goethezeit dazu verwendet wurde, die dort so genannte Romanenflut einzudämmen und so ausgerechnet den Griff zum (guten!) Buch zu sanktionieren, ist ein Treppenwitz, über den nur bewahrfreudige Pädagoginnen und Pädagogen nicht lachen dürfen. Was sich an der Hartnäckigkeit dieser maritimen Überwältigungsszenarien nämlich zeigt, ist deren scheinbar mühelose Transponierbarkeit in andere Mediensysteme und damit letztendlich ihre Gleichgültigkeit gegenüber jedweder technischer Ausprägung. Ob die immersiven Welten von Büchern oder von Computern induziert werden, spielt für die jeweilige Abwehrhaltung keine Rolle: Bedroht ist das Bollwerk des Anthropologischen in beiden Fällen. Was die Sorge der Bewahrpädagogik bestimmt, ist somit ein sehr grundlegendes Missverständnis, das hinter den Zugeständnissen eines partiellen Medienkonsums steckt. So nimmt es nicht Wunder, wenn anlässlich solcher Kleinigkeiten das grundsätzliche Anliegen umso beredter, weil in ungeschützter Offenheit, zu Tage tritt. Bei allen Nuancen im Argument geht es um die Sache jenes Menschen, dem Foucault in seiner Ordnung der Dinge als empirisch-transzendentaler Dublette einen eben nur befristeten Liegeplatz am Strand des Wissens und der Aufmerksamkeit gewährt hat, und den Kittler in den Plural zu setzen wusste, um ihn dann mit einem elitären Federstrich auszumerzen, durch das Kollektiv die Leute zu ersetzen und im Modus der Uneigentlichkeit gegen eine schier allmächtige Datenverarbeitung auszuspielen: "Sicher, Medienkonsumenten können den Output von Medien weiterhin mit Kunst verwechseln. Was darunter abläuft, in den Schaltkreisen selber, ist keine Kunst, sondern ihr Ende in einer Datenverarbeitung, die von den Menschen Abschied nimmt." (Kittler 1990)<br/>2. Was tun?<br/>Was aber ist angesichts dieser Situation zu tun, wenn man solchen Pauschalangeboten nicht folgen möchte? Was also soll mit den Menschenkindern geschehen, sofern man sie nicht im Kittlerschen Überschwang bereits gänzlich mit dem epistemologischen Badewasser ausgeschüttet hat? Sicherlich wäre eine differenziertere Haltung gegenüber dem Erziehungsgeschäft zielführend, das sich mitnichten in den Sanktions- und Präventionsplattitüden gegenüber Medien erschöpft. Auch eine Pluralisierung des Medienbegriffs wäre angebracht, um einseitige Fixierungen auf vermeintlich gute Medien zu vermeiden, was im Wechselschluss wiederum eine Vernachlässigung vermeintlich schlechter Medien und eine sonderbare Schieflage gegenüber der Mediatisierung in ihrer phänomenologischen Fülle zur Folge hat. Zielführend wäre auch eine stärkere Berücksichtigung veränderter Anwendungsbereiche etwa in der Wirtschaft, im Gesundheitswesen oder im mediengestützten Wohnen, um auf diese Weise den Blick von der dominanten Fixierung auf den schier allmächtigen Unterhaltungssektor und die dort etablierten Formate ein Stück weit zu lösen.Nimmt man etwa einmal das Virtuelle als das, was es längst ist, nämlich als den Normalfall der technischen Verfasstheit, so sind es längst nicht mehr irgendwelche posthumanistischen Cyberspaceszenarien, die in ihrer dystopischen Bedrohung oder utopischen Verheißung das Bild bestimmen. Vielmehr hat es sich im Umfeld bestimmter Krankheitssymptomatiken als durchaus zielführend erwiesen, mit dem Einsatz von Computerspielen bestimmten Defiziten zu begegnen oder sie diagnostisch zu benutzen (Lawrence 2002). Und natürlich gibt es längst auch Öffnungen der Pädagogik gegenüber den Ausprägungen und Möglichkeiten des Digitalen. Das pauschal in Abrede zu stellen, wäre schiere und unzulässige Polemik. Gerade auf diesem Feld zeigt sich allerdings auch und besonders prägnant, dass vor dem Hintergrund dessen, was früher einmal Menschenbild und Weltanschauung hieß, eine systematische Öffnung gegenüber den digital vermittelten Cyberwelten noch weiter auf sich warten lässt.Nimmt man etwa die Diskussion um den Einsatz von Computern an Schulen, so werden die grundsätzlichen Einwände und mit ihnen die Altlast einer historischen Semantik schnell sichtbar: Dabei kommt es zu einem aussagekräftigen Rückgriff auf den Nürnberger Trichter des Barockpoeten Georg Philipp Harsdörffer. Als frühes Beispiel führt der Trichter eine Reihe von Apparaturen an, die in der Tradition des Behaviorismus und namentlich bei den als Lernautomatenbauern tätigen Burrhus Frederic Skinner und Stanley Pressley von sich reden machen sollten - vor allem mit dem Gestus der Distanzierung gegenüber einer derart entpersonalisierten Automatisierung des Lernbetriebs. Buchtitel und Buchcover wie Der Nürnberger Trichter. Lernmaschinen für ihr Kind? oder Der Nürnberger Trichter. Computer machen Lernen leicht!? sprechen schon allein ob ihrer Verwendung von Interpunktionszeichen eine deutliche Sprache (Oberle/Wessner 1998; Vogt 1966). Während die Befürworter in der technischen Aufrüstung ähnliche Chancen sahen wie die Verfechter der Produktionsautomatisierung, die gar von menschenleeren Fabriken träumten, deren vormalige Arbeiter endlich für die Segnungen der Freizeit großräumig freigestellt werden konnten, träumten die Verfechter von Lernautomaten ihrerseits davon, die Lehrkörper großräumig aus den Klassenzimmern zu verbannen und die Schulen selbst weitestgehend überflüssig zu machen. So ergeht in einer Stellungnahme aus dem besagten Frageumfeld Can Machines Replace Teachers in Education Systems? vollmundig die Forderung: "Any teacher that can be replaced by a machine, shou
Lädt …