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Die Geisterstraße

Roman
ISBN/EAN: 9783630621074
Umbreit-Nr.: 954270

Sprache: Deutsch
Umfang: 158 S.
Format in cm: 1.5 x 18.8 x 12
Einband: kartoniertes Buch

Erschienen am 16.10.2006
€ 8,00
(inklusive MwSt.)
Nicht lieferbar
  • Zusatztext
    • Eine Geschichte über Freundschaft und Fanatismus, über die zarten Regungen und falschen Versprechen der Liebe. Simon und Alfred sind die letzten beiden Juden in Kabul, und sie mögen sich nicht. Sie haben sich miteinander arrangiert, um wenigstens im bescheidenen Maße die jüdischen Feste und Riten aufrecht zu erhalten. Von den zehn Juden, die es für eine Synagoge braucht, muss man sich die fehlenden acht dann einfach vorstellen. So sind sie über die Jahre ein wenig kauzig geworden. Erst als die junge Afghanin Naema, die von einem amerikanischen Journalisten geschwängert wurde, Alfreds Hilfe sucht, bricht auch bei ihnen wieder Leidenschaft ins Leben, und voller Aktionismus versuchen sie, Naema zu retten.

  • Kurztext
    • "Ich habe selten ein Buch wie dieses gelesen. Mir kommt es so vor, als würde die Sicht von außen, die Sicht eines Fremden, meine Sicht, diesem Buch etwas von seiner ungeheuren Ausstrahlung, seiner Kraft, seiner Wucht nehmen. Ich mache deshalb eine Anleihe bei Elke Heidenreich: LESEN! Dieses Buch! Ausrufungszeichen!" Christine Westermann, WDR "Wütend, sarkastisch, rührend und wunderschön - eine kluge Erzählung über Fanatismus und Freundschaft." Bücher "Die Französin Amanda Sthers, 29, erzählt von der Liebe in Zeiten des Fanatismus. So anrührend und grotesk, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll." Woman

  • Leseprobe
    • Alfred ist tot. Begraben unter diesem Haufen Steine. Es gab keine richtige Beerdigung für ihn. Kein Grab, niemand wird sich an ihn erinnern. Hier ist seine Geschichte. Hier ist meine Geschichte unter Alfreds Geschichte. Von nun an bin ich allein, und allein bin ich mit seinem Körper. Ich werde eine Rede halten. Ich werde über ihn sprechen. Ich werde beten. Ich werde mir die Männer vorstellen, die mit mir zusammen beten. Schon kann ich ihre Stimmen hören. Und ihre weinenden Frauen. Und Kinder, die spielen und nichts begreifen, die mit den Steinen spielen, die auf Alfred liegen. Alle zu einem Haufen aufgeschichtet, eng beieinander, eine ganze Welt, die auf dem kleinen Körper von Alfred liegt. Und die ganze Welt, ich weiß, schaut jetzt auf mich. Hier ist, was ich mir ausgedacht habe. Hier ist, woran ich mich erinnere. Hier ist das, was mir Peter Jahre später erzählte und ich mir zu Eigen machte. Für mich ist alles wahr. Von der Wahrheit mal abgesehen. Die Wahrheit, wie gern würde ich sie vergessen, damit sie mich nicht mehr jede Nacht aus dem Schlaf reißt. Man hatte nicht das Gefühl, ihn von klein auf zu kennen, oder dass er Eltern gehabt hätte oder irgendwelche Angehörigen. Er hatte nie Besuch. Er hatte keine Reisepläne. Er sprach nie von einem Ort, den er gern wieder einmal gesehen hätte, von einem Dorf, einem kleinen Fleckchen Erde. Er erfand noch nicht einmal eines. Nein, es war, als ob er immer schon so alt gewesen wäre, in diesem Alter, das man so schlecht schätzen kann. Alt, aber nicht besonders. Keiner von denen, die bald sterben würden. Im Übrigen sah Alfred ganz und gar nicht so aus, als würde er überhaupt sterben. Er war da, wie der Sand, wie die Steine, wie die bleierne Sonne. Er war Teil dieses verdammten Afghanistan, dieser Stadt Kabul, der er so sehr glich, ohne Alter auch sie, irgendwo zwischen Entkräftung und Geburt. Er wohnte in der Chicken Street. Genauer, Chicken Street 21 oder 21a, denn er wohnte in einem Haus ohne Nummer, das direkt an 21 grenzte und von 23 durch eine nach Urin stinkende sandige Gasse getrennt war. Die Nummer spielt auch keine Rolle. Niemand kann sich erinnern, dass er je Post bekommen hätte. Vielleicht, weil niemand seine Adresse kannte? Hatte es womöglich Briefe gegeben, die nie angekommen waren? Alfred, der öffentliche Schreiber, der am Ende seines rechten Arms alle Geschichten des Viertels mit sich herumträgt. Man spendiert ihm immer einen Tee, damit er etwas erzählt. Und Alfred redet, er sagt gerade so viel wie nötig, dass man ihn immer wieder einlädt. Nie mehr, nie weniger. Alfred will seine Kunden und ihre Probleme behalten. Das war vor fünfzehn Jahren, jetzt ist Alfred tot. Fünfzehn Jahre ist es her. Ich mag Alfred nicht. Überhaupt nicht. Ich lebe in einer schwarzen Stadt, wo der Himmel keine Chance hat. Einer Stadt mit zu viel Sonne und nicht der Spur eines Schattens, einer zu heißen, zu schmutzigen Stadt. Ich wohne Chicken Street 23, auf der anderen Seite der stinkenden sandigen Gasse. Ich bekomme Post: einmal im Jahr ein Paket von meiner Schwester Huguette zu Rosh Hashanah und einmal pro Woche einen Brief, auch von meiner Schwester Huguette, einfach nur so, weil sie keine Kinder hat, aber eine jüdische Mutter ist; sie muss einfach irgendjemandem auf die Nerven gehen. Zuerst dachte ich, sie übe nur, eines Tages bekäme sie einen dicken Bauch und ich weniger Briefe. Aber jetzt ist sie vierzig, jetzt wird wohl nichts mehr daraus. Wir haben nie darüber gesprochen. Sie schreibt mir jede Woche einen Brief, seit zwanzig Jahren, aber über die wirklich wichtigen Dinge steht nie etwas darin. Ich antworte ihr nur einmal im Jahr, zu Rosh Hashanah, und danke ihr für die Cowboystiefel. An diesem Tag lasse ich Alfred ein Foto von mir machen, in meinem Anzug, mit meiner Westernkrawatte und in den neuen Stiefeln. In dreizehn Jahren, wenn der Film voll ist, lasse ich alles auf einmal entwickeln und dann werde ich vierundzwanzig Cowboystiefel-Fotos haben mit m
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