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Brendels Fantasie

eBook - Roman
ISBN/EAN: 9783641036799
Umbreit-Nr.: 1799703

Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S., 0.27 MB
Format in cm:
Einband: Keine Angabe

Erschienen am 20.11.2009
Auflage: 1/2009


E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen
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  • Zusatztext
    • <b>»Fast beneide ich diesen Höller! Ja, er ist krank, ja, er ist verrückt, aber welche Leidenschaft treibt ihn! Nur wer brennt, lebt.« Elke Heidenreich</b><br /><br />Weil er bald sterben wird, will Höller endlich seinen größten Traum verwirklichen. Also lässt er sein Leben an der Seite einer Staranwältin hinter sich, verkauft seine Fabrik und bricht in die Toskana auf. Hier soll Alfred Brendel für ihn die endgültige Interpretation von Schuberts »Wandererfantasie« spielen. Der merkwürdige Fremde, der zuweilen mit einem Handtuch um seinen schmerzenden Kopf gewickelt Gemeindesäle besichtigt, sich unter den Hinkenden und Zahnlosen im Altenheim von Castelnuovo Saaldiener aussucht und in dem Provinznest eine Konzerthalle errichten will, stößt bei den Einheimischen auf Befremden. Doch anstatt dem Tod wenigstens in Gedanken zu entkommen, begegnet Höller ihm auf Schritt und Tritt in Form skurriler Gestalten und bizarrer Begebenheiten. Schließlich muss er erkennen es gibt kein Entrinnen, weder vor dem Tod noch vor dem eigenen Leben ...<p>Die meisterhafte Schilderung einer Obsession - subtil, komisch und stilistisch meisterhaft erzählt.

  • Autorenportrait
    • Günther Freitag, geboren 1952 in Feldkirch/Vorarlberg, studierte in Graz Germanistik und Geschichte. Zudem belegte er Klavier am Konservatorium. Er schrieb Hörspiele und Prosawerke. 1985 nahm er am Bachmann-Wettbewerb teil. Der Autor erhielt mehrere Preise: Forum Stadtpark Literaturpreis der Stadt Graz (1982); Literaturstipendium des Landes Steiermark (1990); Kulturpreis der Stadt Leoben (1992). Er lebt in Leoben/Steiermark.
  • Leseprobe
    • OBWOHL NACH DER Pause seine Lieblingssonate auf dem Programm steht, verlässt Höller den Palazzo Papesse und geht die schmale Gasse hügelabwärts zur Piazza del Campo. Nur wenige Menschen sind mit ihm unterwegs an dem feuchtkalten Herbstabend, die meisten von ihnen mit hochgestellten Krägen und kunstvoll um den Hals drapierten Schals, wie es die Mode seit Kurzem diktiert. Und, das erstaunt ihn immer wieder aufs Neue, in diesem Land, das so viel auf Äußerlichkeiten hält, befolgen auch Menschen jenseits der sechzig diese Diktate. Es muss zahllose Varianten geben, in denen die neuerdings bunt gestreiften Schals um den Hals gelegt werden, wobei jedoch bei den meisten ihr ursprünglicher Zweck, den Träger zu wärmen, verloren gegangen und bloßem Dekor gewichen ist. Höller erinnert sich an seinen Versuch vor ein paar Tagen, den Schal in ähnlicher Weise zu binden, welchen er aber sofort abgebrochen hat, nachdem er sein Spiegelbild zufällig im Foyer der kleinen Pension, in der er seit einigen Wochen lebt, gesehen hat.<br />Vor einem verschlossenen Laden, dessen Auslage vollgestopft ist mit ekelhaft geschmacklosen Keramiken, raucht er eine Zigarette und stellt sich vor, wie sich in der Reisezeit Besucher aus aller Welt durch die schmale Gasse zwängen, von einem Erstaunen über die Piazza zum nächsten über den Dom eilend, und die Läden stürmen. Keramiken mit den Symbolen der Kontraden, kitschige Aquarelle, Wildschweinwürste und gestreckten Trüffel raffen sie mit derselben Begeisterung zusammen wie Armanijacken, Furlataschen und Guccischmuck, wonach sie mit all dem Plunder in der Pasticceria Nannini einfallen, die sie sich nicht entgehen lassen, weil doch die Tochter Sängerin und der Sohn Autorennfahrer ist, an einem solchen Ort dürften die Süßigkeiten schon einmal mehr kosten, verleibe man sich mit diesen doch mehr oder weniger auch die Nähe von zwei Weltberühmtheiten ein, wozu sich nicht alle Tage die Gelegenheit bietet. Dass an der Hauswand die Gedenktafel für den bedeutendsten Dichter der Stadt verwittert, fällt den wenigsten auf. Und jenen, denen die Tafel nicht entgangen ist, sagt der Name nichts. Es lohne sich auch nicht, sich diesen zu merken, werden sie im Weitergehen denken, denn würde sie auf eine Berühmtheit hinweisen, würde sie sich wohl kaum in einem derart bedauernswerten Zustand befinden ...<br />Höller wirft die Zigarette durch ein Kanalgitter und geht weiter. Ärgert sich darüber, dass er seine Zeit mit der sinnlosen Vorstellung von Touristenhorden vergeudet, die sich durch alle Städte der Welt wälzen und überall neben ihrem Geld die gleiche Verwüstung hinterlassen. Ihm bleibt zu wenig Zeit, als dass er diese mit Schaldrapierungen und Kitschläden verschwenden dürfte.<br />Auf den steilen Stufen zur Piazza ist er in seinen Gedanken wieder bei dem Klavierabend im Palazzo Papesse angelangt. Sitzt mit Sophie in der zweiten Reihe auf einem Platz, von dem aus er die Hände des Pianisten, dessen Namen er schon vergessen hat, über die Tastatur fliegen sieht. Ein junger Italiener, nicht unbegabt, technisch versiert, dynamisch in seinen Läufen und klar in seinem Anschlag. Ein junger Mann mit der Figur eines Athleten, einer langen schwarzen Mähne, die er in seinem Nacken zu einem buschigen Zopf gebunden hat. Eine gefällige Erscheinung, welche gewiss die meisten weiblichen<br />Konzertbesucher beeindruckt und deren Begleiter für einen kurzen Augenblick verunsichert ...<br />Höller lässt sich im Café Palio den caffè doppio ins Freie servieren. Ob er bei diesem Wetter tatsächlich im Freien sitzen möchte, fragt der Kellner und kehrt kopfschüttelnd ins Innere zurück. Schon wieder hat er sich durch Nebensächlichkeiten ablenken lassen. Er hat das Konzert ja nicht wegen des Pianisten besucht, sondern allein wegen des Saals im Palazzo. Schließlich geht es darum, den idealen Platz für die Fantasie zu finden. Nachdem seine Wahl auf Castelnuovo gefallen ist, hat dieser Konzertbesuch nur dazu gedient, ihn in seiner Entscheidung zu bestärken. Denn davon ist Höller überzeugt: Für jedes Kunstwerk genügte ihr auch sein Schweigen. Sie versuchte ihn nicht zu überreden, doch zu bleiben, fragte auch kein zweites Mal nach seinem Grund, sagte nur, er möge im Café Palio auf ihren Anruf warten, sie werde ihn nach dem Konzert mit einem Taxi abholen.<br />Höller genießt den Blick über das Oval der menschenverlassenen Piazza, der Lärm aus dem La Mangia stört ihn nicht, weder die Stimmen noch die gedämpfte Musik. Von Zeit zu Zeit kommen Menschen aus dem Inneren des Restaurants ins Freie, um eine Zigarette zu rauchen. Dann stehen sie in einer Gruppe vor dem Eingang, lachen miteinander, und Höller beneidet sie für einen kurzen Augenblick um das Gemeinsame, das sie verbindet. Aber während er auf seinen zweiten caffè doppio wartet, verklingt dieses Gefühl, weil es an diesem Abend nicht mehr stimmt. Nicht mehr in sein Leben stimmt, in dem es keinen Raum mehr gibt für Dinge, die nicht mit der Fantasie und ihrer endgültigen Interpretation zu tun haben. Wie leicht sein Leben mit einem Schlag geworden ist, nachdem er alle kleinen Ziele aus seinem Blickfeld verloren hat, bloß noch ein einziges geblieben ist. Und Höller bedauert die Menschen vor dem Restaurant, die gewiss ihr Leben zwischen Ansprüchen, Wünschen, Hoffnungen und Enttäuschungen zerreißen, sodass davon nur Bruchstücke übrig bleiben, die sie während einer Feier versuchen zusammenzufügen. <br />
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