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Verachtung nach unten

Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht - und wie wir sie verteidigen können, Olzog-Edition
ISBN/EAN: 9783957682598
Umbreit-Nr.: 2761852

Sprache: Deutsch
Umfang: 372 S.
Format in cm: 3 x 22.5 x 15
Einband: gebundenes Buch

Erschienen am 29.02.2024
Auflage: 1/2024
€ 26,00
(inklusive MwSt.)
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  • Zusatztext
    • 'Alexander Wendt ist die Noblesse des gegenwärtigen Journalismus. Gründlich, genau, unbestechlich, immer mitschwingend ein menschenfreundlicher Humor - Wendt ist ein Aufklärer auf der Gegenposition zur Ideologie.' Uwe Tellkamp Von den USA bis Europa breitet sich eine Bewegung der Erwachten aus, die den Westen anklagt, Menschen nach Hautfarbe und Geschlecht in Identitätsgruppen einteilt und Bürgerrechte unter den Vorbehalt einer höheren Gerechtigkeit stellt. Diese neue Macht, die unter Namen wie woke, Identitätspolitik oder 'Kritische Rassentheorie' auftritt, behauptet von sich selbst, progressiv zu sein. Sie benutzt Begriffe der alten Linken. Und sie verspricht eine bessere, friedlichere, gleichere Gesellschaft. Ihre Vertreter sehen sich als Träger einer überlegenen Moral. 'Verachtung nach unten' seziert dieses Phänomen, legt seine Wurzeln bloß und nimmt sein toxisches Ideengebäude auseinander. Diese Bewegung ist nicht progressiv. Sie zerstört, ohne neue stabile Strukturen zu schaffen. Ihre Ideen transformieren nichts und niemand in eine friedliche Zukunft. Wie konnten sich die Bewegung der Erwachten mit ihren Ideen so schnell ausbreiten, Begriffe prägen, Institutionen erobern? Wer verstehen will, warum ihr so viele nachlaufen, Einzelne, Parteien, Unternehmen, der muss die Grundlagen dieser Ideologie kennen. Wer sich gegen sie wehren will, sollte wissen, wo ihre Schwachpunkte liegen. In der Konfrontation mit den Erwachten wird jeder zum Konservativen, der die Bürgergesellschaft erhalten will. Und zum Liberalen, wer sich gegen die autoritäre Anmaßung wehrt. Auch traditionelle Linke finden in dem Buch Argumente, warum sie sich gegen die Pseudoprogressiven stellen sollten. Alexander Wendt beschreibt nicht nur, was auf dem Spiel steht. Sein Buch zeigt auch Wege, um den Kulturkrieg einzudämmen.

  • Kurztext
    • Von den USA bis Europa breitet sich eine Bewegung der Erwachten aus, eine Moralelite, die den Westen anklagt, Menschen nach Hautfarbe und Geschlecht in Identitätsgruppen einteilt und Bürgerrechte unter den Vorbehalt einer höheren Gerechtigkeit stellt. Diese neue Macht, die unter Namen wie woke, Identitätspolitik oder 'Kritische Rassentheorie' auftritt, behauptet von sich selbst, progressiv zu sein. Sie benutzen Begriffe der alten Linken. Ihre Vertreter sehen sich als Träger einer überlegenen Moral. In ihrem Kern beruht diese Ideologie auf Verachtung: die Verachtung der Bürger, Verachtung der Tradition, Verachtung des Westens. Alexander Wendt seziert diese toxische Bewegung. Er beantwortet auch die Frage, wie sie in so kurzer Zeit politischen Einfluss gewinnen konnte. Ihr Triumphzug ist keine ausgemachte Sache. Die Bürgergesellschaft besitzt alle Mittel, diese Bedrohung zu stoppen. 'Verachtung nach unten' bietet neben der Analyse auch Vorschläge, wie sich der Kulturkrieg beenden lässt.

  • Autorenportrait
    • Alexander Wendt, geboren 1966 in Leipzig, schrieb seit 1989 als Journalist und Autor unter anderem für die Welt, den Stern, den Tagesspiegel, Wirtschaftswoche und Focus. 2005 gründete er die Galerie Quartier in Leipzig, die er bis 2010 leitete. Die Dresdner Literaturzeitschrift Ostragehege veröffentlichte mehrere Texte von ihm, unter anderem die Kurzgeschichte Wünsch mir was (2010). Im Januar 2016 erschien von ihm 'Plantagen des Blöden. Kleines Wörterbuch der Definitionen und Phrasen'; im März 2016 'Du Miststück. Meine Depression und ich' und 2019 'Kristall: Eine Reise in die Drogenwelt des 21. Jahrhunderts' Alexander Wendt lebt und arbeitet in München.
  • Leseprobe
    • Der große Fortschritt zurück 'Es gibt einen Krieg zwischen denen, die sagen, es gibt Krieg/und denen, die sagen, es gibt ihn nicht.'Leonard Cohen Tief ist der Schacht, in dem die linken Ideen liegen. Die Ideen der historischen Linken wohlgemerkt, die vor langer Zeit immerhin mit der Absicht angetreten war, bessere Verhältnisse für alle zu schaffen. Fast immer scheiterte sie mit dieser Absicht. Oft verschlechterte sie das Leben derjenigen, deren Befreiung sie zu ihrem Ziel erklärt hatte. Diejenigen, die heute in der Hülle der Linken operieren, teilen mit dieser antiken Linken nur noch Symbole und Gesten, aber längst nicht mehr die Ziele. Die alten linken Ideen lagern an einem bekannten, aber nicht mehr zugänglichen Ort. Für das Überzeugungssystem, das sich heute als fortschrittlich ausgibt, bedeutet diese Endlagerung der alten emanzipatorischen Ideen nicht nur einen Vorteil, sondern geradezu die Existenzgarantie. Denn die ­bloße Symbolik der alten Fortschrittsbewegung genügt heute, um den Kritikreflex des politischen, akademischen und medialen Milieus links der Mitte weitgehend abzuschalten, selbst dann, wenn es sich um eine Bewegung handelt, die ihre ­Ziele nur notdürftig mit einem progressiven Firnis überzieht, in Wirklichkeit aber darauf zielt, die Gesellschaft weit zurückzuwerfen, hinter die Aufklärung, hinter die bürgerliche Emanzipation, in ein neues dunkles Zeitalter des Tribalismus und damit notwendigerweise in eine Ära des permanenten Unfriedens. Für die klassische Linke, wie sie im vorvorigen Jahrhundert in Europa und nur dort entstand, bildete die Kritik an den ökonomischen Verhältnissen den Kern der Gesellschaft. Sie formierte sich in der Absicht, ungerechte Verhältnisse zu überwinden, und nicht, um sie zu bewirtschaften. Die ursprüngliche linke Bewegung besaß viele Schwächen und ausgedehnte blinde Flecken. Sie konnte mit Liberalität wenig bis nichts anfangen, sie überschätzte die Ökonomie als eigentliche Gesellschaftsgrundlage. Kultur samt Religion galt ihr nur als Überbau. Aber der Marxismus, der reformerische Teil der Arbeiterbewegung, auch verwandte Modelle wie die heute vergessene Staatswirtschaftsutopie Fichtes versprachen, die Menschen aus ihren Fesseln zu lösen. Ihr Stand sollte nach der gelungenen Befreiung keine Rolle mehr spielen. Nicht ihre Hautfarbe, nicht ihr Geschlecht oder die Tatsache, dass es sich bei den Befreiten um Europäer handelte. Gesellschaftsmitglied, das reichte ihnen als Identität. Die klassische linke Ideologie plädierte gerade dafür, dass nicht der Einzelne eine Schuld an schlechten Zuständen tragen sollte, sondern dass ökonomischer Druck sie verursacht, wie es bei Bertolt Brecht heißt: Wir wären lieber gut anstatt so roh/doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Deshalb sollten bekanntlich alle Verhältnisse umgeworfen werden, die aus Menschen verächtliche Wesen machten. Marx und Engels glaubten, schon im Kapitalismus sei alles Stehende und Ständische verdampft. Das stimmte nie. Über die Beständigkeit kleiner Formen selbst unter großen Veränderungswellen gibt Lampedusas 'Gattopardo' besser Auskunft als viele Bände großer Gesellschaftstheoretiker. Aber dass Theoretiker und Praktiker, die sich heute die alten linken Symbole borgen, nach einer neuen stehenden und ständischen Gesellschaft streben, dass sie es für Fortschritt halten, wenn sich eine Gesellschaft wieder nach Eigenschaften wie Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft gliedert und dass sie eine unabänderliche Verächtlichkeit bestimmter Menschengruppen als neue Doktrin verkünden - diese Entwicklung hätte die Klassiker der alten Linken mindestens verblüfft. Es wäre für sie auch eine Lektion darüber gewesen, was sich mit ihren Begriffen anstellen lässt. Wo das Bewusstsein das Sein regieren will, spielt kulturelles Kapital eine wichtigere Rolle als das Materielle. Die neue Priesterkaste stützt ihre Macht darauf, dass sie kulturelles ­Kapital schöpft, verteilt und auch wieder entziehen kann. Statt wie die alte Linke Produktionsmittel zu beherrschen - ein mühsames Geschäft -, möchten die neuen Priester die Sinnproduktion kontrollieren. Wer unter einem progressiven Vorzeichen zur alten Stammes- und Standesgesellschaft zurückwill, der muss auslöschen, was im Zentrum der alten Linken und der Sozialreformer stand: die soziale Frage. Wer von Gruppenidentität spricht, muss sich sozial blind stellen. Wer Menschen vor allem als Träger einer Hautfarbe und einer Herkunft sehen will, darf sich nicht für ihr Einkommen interessieren. Denn nur dann fügt sich der zum Mindestlohn bezahlte Kraftfahrer als Träger des weißen Privilegs in das Gesellschaftsbild ein, während die Staatssekretärin, deren Eltern als arabische Einwanderer kamen, lebenslänglich zu den Marginalisierten und potenziell Diskriminierten zählt, unabhängig von Status und Gehalt. Diejenigen, die so argumentieren, kehren die linke Klassik um. Der angemessene Begriff für sie lautet: verkehrte Linke, regressive Progressive, Kräfte, deren Zukunftsentwurf sich die Vergangenheit zum Vorbild nimmt. Soziale Blindheit ist die erste Forderung, die verkehrte Linke an sich selbst stellen müssen. Dieses Buch handelt von den Kräften, die in ihrem Moraldünkel Schwächere von oben belehren und an den Rand der Gesellschaft drängen, und das in sozialer und in kultureller Hinsicht. Wer nicht zur Kaste der neuen Hohepriester gehört, soll keine legitimen Interessen mehr vertreten dürfen. Sondern sich schuldig fühlen und schweigen. Neue Gesellschaft, das bedeutet nicht, dass alles umgestürzt würde. In dem moralischen Kapitalismus steckt selbstverständlich noch der alte, so wie die kleinere Matrjoschka-Puppe in der größeren. Dieses Buch versucht deshalb, auch eine politische Ökonomie dieser im Entstehen begriffenen neuen Verhältnisse zu entwerfen. Die neue moralische Klasse, die sich links ausstaffiert, arbeitet in den westlichen Ländern gerade daran, die Früchte der Aufklärung zu vernichten - und das unter dem Banner des Fortschritts. Wer die bürgerliche Emanzipation verteidigt, egal aus welcher Perspektive, handelt nach ihrer Logik als ­Reaktionär. Die aufsteigende moralische Kaste praktiziert nicht nur die einfache, sondern gleich die mehrfache Verdrehung von linken und überhaupt von modernen politischen Begriffen. Für dieses Phänomen gibt es in der Ideologiegeschichte kein Vorbild: Den Weg zurück in die Vormoderne erklärt eine einflussreiche Allianz von Theoretikern, Politikern, Anführern von Institutionen und Medienvertretern heute nicht nur als fortschrittlich, sondern sogar für den Fortschritt schlechthin, für seine einzige legitime Form. Verachtung nach unten handelt von dem Versuch, die Bürgergesellschaft durch eine neue, von Hautfarbe, Herkunft, ­Geschlecht und Religion definierte Gesellschaft der Stämme zu ersetzen, Parlamente durch Ständeversammlungen, den westlichen Individualismus durch das Denken im Kollektiv, die Meritokratie durch die Zuteilung von Ressourcen nach Quoten, das Aushandeln von Begriffen mit Rede und Gegenrede durch eine unkritisierbare Orthodoxie und den westlichen Rationalismus durch einen Okkultismus. Dieses Buch beschreibt, was die Gesellschaft verlieren ­würde, wenn sich die neue Kaste tatsächlich als ­unangefochtene Macht etablieren sollte. Ihr Glaubenssystem enthält nichts Menschenfreundliches, nichts Befreiendes, nichts, was eine Gesellschaft befrieden könnte. Es macht die Gesellschaft hysterischer, paranoider, instabiler, ärmer und primitiver. Es verbessert außerhalb der Priesterkaste selbst nirgendwo die Lebensbedingungen. Die dauernde Anklage bildet den Modus dieser Kaste, die ihrerseits nirgends erkennen lässt, welche Kritik, welche Gegenentwürfe sie denn noch zuließe, wenn sie einmal vollständig herrschen würde. Alles, was den Westen wertvoll macht, steht auf dem Spiel: die Idee des Bürgers, die Rationalität, das Prinzip von Rede und Gegenrede, die offene Entwicklung. Die Alternative dazu wäre eine Gesellschaft, die in eine Finsternis fortschreitet.
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